Schattenblicke - Thriller
bringen?
Erst mal bringt er mir mein Frühstück, dampfenden Kaffee, dazu eine Schale mit labbrigen Cornflakes, die schon viel zu lange in der Milch herumschwappen.
Der Typ mit der Narbe trägt ein neues T-Shirt, ein schwarzes mit V-Ausschnitt.
Und sein gewohntes Lächeln im Gesicht. » Okay? «, fragt er mich, als er mich vom Duschen wieder abholt.
»Was heißt denn okay?«, frage ich wütend zurück. »Nichts ist okay!«
Er sieht mich verständnislos an, dann zuckt er mit den Schultern und schließt die Tür. Und plötzlich brennt mir die Sicherung durch. Mit Wucht trete ich von innen dagegen. Die Tür erzittert im Rahmen. »Arschloch!«, schreie ich. »Ihr Arschlöcher! Lasst mich raus!«
Draußen herrscht Schweigen, und ich donnere erneut mit beiden Fäusten gegen die Tür. »Dreckige Arschlöcher! Ihr Schweine!« Meine Füße treten mit Wucht gegen das Holz, wieder und wieder.
Es knirscht, die Tür erzittert erneut. »Schweine!«, brülle ich, und dann versagen mir plötzlich die Kräfte. Ich sacke in die Knie und rutsche an der Tür nach unten. »Schweine!«, flüstere ich. Durch einen Tränenschleier hindurch sehe ich meine Handballen. Rot und geschwollen sind sie, und auf einmal tut mir alles weh. Die Hände, die Füße, jeder Knochen tut mir weh.
Und selbst das Atmen schmerzt mich.
Mühsam ringe ich nach Luft.
Von draußen sind Rufe zu hören, dann eine Stimme, die ich sofort erkenne. Obwohl sie jetzt Serbisch spricht und nicht Deutsch.
Die andere Stimme erkenne ich auch: der Typ mit der Narbe. Er und Aleks diskutieren miteinander.
Ich presse die Hände vors Gesicht.
War bestimmt keine gute Idee, so rumzuschreien.
Und dann geht die Tür auf.
»Ich hab dir doch gesagt, dass du nicht schreien darfst!« Aleks zieht mich mit hartem Griff hoch. Er sieht wütend aus. Wütend und ein bisschen verzweifelt.
Aleks. Ich muss mich fast zwingen, ihn so zu nennen.
Sein Gesicht ist gerötet, als wäre er gerannt. »Bist du verrückt geworden!«, schimpft er. »Du musst still sein, das hab ich dir doch gesagt!« Plötzlich schlägt meine Wut in Angst um.
»Aber ich werde noch bescheuert hier drin! Ich halt das nicht mehr aus!«
Aleks sieht mich an, dann nickt er und lässt meinen Arm los. »Ist ja gut«, sagt er leise. »Ich gucke, was ich machen kann. Aber … aber du darfst nicht mehr um Hilfe rufen. Auf keinen Fall. Sonst bist du dran. Und ich auch!«
»Du?«, frage ich verdutzt. »Wieso du?«
Er sieht weg, dann zuckt er mit den Schultern. »Warte«, sagt er. »Warte. Jetzt beruhig dich erst mal.«
Es dauert eine Viertelstunde, dann ist er zurück. Aber nicht allein. Der Typ mit der Narbe ist bei ihm. Argwöhnisch betrachtet er mich, während Aleks mir erklärt, dass sie beide beschlossen haben, mich jetzt für eine halbe Stunde nach draußen zu lassen. »Aber du darfst nicht versuchen, wegzulaufen!«, sagt Aleks. Seine Augen mustern mich eindringlich.
Nach draußen! »Ja, ja, klar, ich laufe nicht weg!«, verspreche ich.
Mein Herz klopft wie verrückt, als ich kurz darauf hinter ihm her durch den Flur gehe. Nicht nach rechts, zu der niedrigen Tür am Ende, sondern nach links, dorthin, wo der Gang eine Biegung macht. Dahinter liegt eine kleine, blitzsaubere Küche, bestückt mit ziemlich schäbigem Mobiliar, soweit ich sehen kann. Die beiden Wandschränke scheinen fast auseinanderzufallen und auf dem wackelig aussehenden Tisch liegt eine Wachsdecke. Wie bei Oma Jovana.
Der Typ mit der Narbe geht hinter mir, Aleks’ breite Schultern sind dicht vor mir. Ich kann die Muskeln unter dem dünnen Stoff seines T-Shirts sehen. Ich wette, er macht Sport, aber keinen Fußball oder so, irgendwas anderes.
In was sind die Serben noch mal gut? Basketball, oder?
Und Tennis, genau. Djokovic. Novak Djokovic. Den findet Daria total sexy. Oder … Mein Vater hat auchfurchtbar gern Tennis geguckt. Wie hieß noch damals sein Lieblingsspieler?
Ich kann mich nicht erinnern. Aber eine Sekunde später ist es mir auch vollkommen egal, denn Aleks führt mich durch eine Tür hinter der Küche nach draußen.
Einfach so. Er macht die Tür auf, und wir sind draußen. Draußen! Hitze schlägt mir entgegen und gleißendes Sonnenlicht noch dazu. Tief sauge ich die heiße Luft in mich ein. Endlich draußen!
Meine Augen brauchen einen Moment, um sich an die Helligkeit zu gewöhnen. Dann erkenne ich einen Hof, durch eine mannshohe, gelb gestrichene Mauer begrenzt, von der in großen Placken der Putz abbröckelt. Dahinter ragen
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