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Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Titel: Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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sie lieber sterben wollten, als es weiterzuleben. Und für jeden, der stirbt oder für immer Wolf wird, kommt jemand Neues nach. So wie heute dieses Mädchen. Hört das denn nie auf?
    Jetzt bin ich es, die sich zu dem Mädchen hockt, wie Thursen eben. «Hallo!» Ich bemühe mich, sie nicht noch mehr zu verschrecken. Versuche, leise und vorsichtig zu sprechen. «Ich habe dir noch gar nicht gesagt, wer ich bin. Ich bin Luisa.»
    «Hallo», murmelt das Mädchen.
    «Und wie heißt du?», frage ich. Weil es so wichtig ist. Weil sie sich verwandeln und ihren Namen vergessen wird. Weil dann niemand mehr wissen wird, wer sie ist. Und einer muss sich doch später erinnern. Und wenn das mit Sjölls Zettel stimmt, kann ich sie später sogar erlösen und wieder zum Menschen machen.
    «Sag ich nicht.»
    «Bitte!»
    «Na gut. Ich bin Gabriella!», sagt sie, sieht hinunter auf die zertretenen braunen Blätter am Boden, und ich weiß, dass sie lügt.
    «Gabriella?» Ich versuche die Wahrheit auf dem Grund ihrer grünbraunen Augen zu lesen. Aber als sie mir das Gesicht zuwendet, sehe ich da nur schimmernde, wässrig funkelnde Angst.
    «Was ist passiert, Gabriella?»
    Sie schüttelt den Kopf. Sieht durch mich hindurch, wippt vor und zurück und streicht über ihren linken Unterarm. Immer wieder. Hat dabei die Ärmel hochgeschoben bis zum Ellenbogen. Ich folge ihrer zerbrechlichen Hand mit dem Blick und erschrecke. Muster aus dunkelrot verkrusteten Narben und frischen Wunden sind in ihre Haut geschnitten wie magische Zeichen. Als sie meinen Blick bemerkt, zieht sie hastig ihren Ärmel herunter und dreht sich weg.
    «Was ist das?» Und als sie nicht antwortet, frage ichNorrock und Thursen. «Was hat sie da? Wer hat sie da verletzt? Hat sie das selbst gemacht?»
    Thursen steht neben mir, legt mir seine Hand auf die Schulter. «Nicht so schlimm», er zuckt die Schultern. «Das heilt wieder.»
    «Das muss doch wehtun!», schimpfe ich und schiebe seine Hand weg. Ich stehe auf, stehe direkt vor ihm. «Was weißt du schon davon?»
    Ganz ruhig schiebt er seinen Ärmel hoch. Den Ärmel des langen dunkelgrauen Mantels, den er immer trägt. Bis zum Ellenbogen schiebt er ihn, und ich kann seine Haut sehen: Härchen, Muskeln, blau schimmernde Adern und darüber ein feines Netz weißer Linien. Als sei es die gleiche Schrift wie auf dem Arm des Mädchens. Als stünde genauso eine Geschichte auch auf seinem Arm. Er weiß, wie weh das tut. Weiß es von jedem Schnitt. Das hat er mir nie erzählt.
    Mit dem Finger fahre ich über seinen Arm, als könnte ich ihn nachträglich heilen. Ich sehe Thursen vor mir, wie er mit seinem Messer nicht nur die Bäume ritzt. Wie er seine Haut, seine eigene Hülle, aufschlitzt. Bis Blut hervorquillt und Schnitt um Schnitt um Schnitt dieses grausame Muster wächst. Muss man wütend sein dafür? Verzweifelt? Oder macht man es ganz unabsichtlich nebenbei wie Nägelkauen immer und immer wieder, bis der Schmerz einen weckt?
    «Warum?»
    Er zuckt die Schultern und schiebt sich den Ärmel wieder sorgfältig herunter bis auf das Handgelenk.
    Natürlich. Auch das hat er vergessen.
    «Tu das nie wieder!», flüstere ich.
    «Schon lange nicht mehr», sagt er. «Nur die Narben bleiben. Darum haben mir die Wölfe, als ich zu ihnen kam,diesen Mantel gegeben. Mit langen Ärmeln, die die Wunden verdecken. Damit ich auch das vergessen kann.»
    Ich nicke.
    Er reißt einen vergilbten Grashalm aus und dreht ihn zwischen den Fingern. «Willst du die Blumen bei Sjölls Baum eigentlich einfach so liegenlassen?»
    Ich erinnere mich, wie mir Sjölls Blumen vorhin aus den Fingern gerutscht sind. Hat er mich beobachtet? Ich dachte, er hätte sich nur um das neue Mädchen gekümmert. «Nein, natürlich nicht.»
    Er nimmt meine Hand, wie aus alter Gewohnheit, und ich lasse sie ihm. Es bedeutet nichts, versuche ich mir zu sagen. Nach ein paar Schritten erst scheint er zu merken, was er da tut, und lässt mich los. Wir gehen zu Sjölls Baum, nur wir, gemeinsam, zwischen den Stämmen hindurch. Trotzdem sind wir, als wir ankommen, nicht allein. Dort sitzt ein Wolf vor Sjölls Baum. Struppig und mager. Es ist Karr. Thursen streicht ihm über das Fell, während ich mich bücke und Sjölls Blumen aufhebe. Die goldroten Chrysanthemen lege ich eine nach der anderen um den Baum herum, den Stiel zum Stamm, wie eine Sonne. Karr sitzt nur da, wendet nicht mal seinen Kopf und lässt es geschehen.
    «Ich vermisse Sjöll auch, alter Freund», sagt Thursen leise zu

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