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Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Titel: Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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Kerze?»
    Entsetzt streckt Zrrie die Hände vor. «Nicht ausmachen!»
    «Ja, ja!» Genervt stelle ich Sjölls Windlicht wieder hin. Wachs schwappt auf das Glas und bleibt in weißen Schlieren kleben. «Pass auf, Zrrie. Du guckst auf die Kerze, ich muss los.»
    «Luisa!», schreit Zrrie mir hinterher.
    Ich habe es eilig, beginne zu laufen. Keine Zeit, mich umzudrehen.
    «Luisa! Die haben mich extra hiergelassen, damit ich aufpasse, dass du ihnen nicht begegnest.»
    Ich will ihnen nicht begegnen, Zrrie nicht verraten. Ich will nur da sein, wenn Thursen und die Gefahr aufeinandertreffen. Als könnten meine Blicke ihn schützen.
     
    Schon nach ein paar Schritten haben sich meine Augen an das Dunkel gewöhnt. Der Mond schiebt sich hinter einer Wolke hervor. Will er mir leuchten? Oder ist er Verbündeter der Wölfe, der sie vor mir warnen will? Ich trabe zu schnell und komme atemlos am grell erleuchteten Bahnhof an. Kein Mensch außer mir. Ungeduldig und fröstelnd trete ich von einem Bein aufs andere. Reibe meine Hände aneinander. Warum fährt die S-Bahn nachts so selten? Warum sind zwanzig Minuten so entsetzlich lang? Es ist kalt, aber ich habe Zeit, meinen Stadtplan zu lesen.
    Endlich kommt der Zug. Tausendmal umsteigen. Dann bin ich dort. Ein großer grauer Klotz liegt still da im Dämmerlicht der Straßenlaternen. Schläft noch nicht ganz. Die Schrift «Nevada-Haus» über dem Eingang leuchtet matt. Hinter drei Fenstern brennt Licht, sodass ich die Uhr an der schäbigen Fassade lesen kann. Die Zeit drängt. Was wollen die Wölfe hier?
    Ich will gerade links am Gebäude vorbei auf den Parkplatz, als mir aus dem Eingang ein älteres Paar entgegenkommt. Er erzählt mit blecherner Seevogelstimme, gestikuliert lebhaft, verzieht das Gesicht, dass sich sein weißer Schnauzbart sträubt. Sie hat sich bei ihm eingehakt und lacht an den richtigen Stellen. Plötzlich scheint sie meine Blicke zu bemerken und wendet sich mir zu. Ich spüre, wie der alten Dame die Frage, was ich hier mache, auf der Zunge brennt, und weiß, dass ich nicht antworten will. Schnell breche ich den Blickkontakt und trete nach rechts aus ihrem Weg. Dort neben dem Eingang hängt im Schaukasten das Programm von heute Abend. Ein Bildervortrag über «Rehwild in deutschen Wäldern». Auf dem Plakat ist der Mann, ein Jäger, der heute erzählt hat, neben einem jungen Reh abgebildet. Ich tue so, als sei ich in das Plakat vertieft,und werde nicht angesprochen. Ich bin gut darin, unsichtbar zu sein. Als die beiden weg sind, zeigt die Uhr 23.45.
    Der Parkplatz hinter dem Haus liegt verlassen. Laternen tauchen die letzten, vergessenen Autos in schwaches Licht. Ich verschwinde im Schatten des Vordachs, lehne mich an die Wand und lausche. Auf der Straße rauschen hin und wieder Autos vorbei. Dazwischen Stille. Fast so still, als könnte ich mein Herz klopfen hören. Ich wische mir mit dem Handrücken die Nase. Grau riecht es hier, nach Straßenschmutz, Abgasen und Ölheizung. Was will Thursens Rudel hier mitten in der Nacht?
    Dann sehe ich es, das Auto, fast in der Mitte des Parkplatzes, ganz allein. Grün, bullig, ein hochbeiniger Geländewagen. Genau so hat Thursen mir das Auto des Jägers aus dem Grunewald beschrieben. Das muss der Jäger sein, der den Vortrag hier gehalten hat. Sjölls Mörder ist heute Nacht hier. Was auch immer geschieht, Thursen wird er nicht bekommen.
    Rau und kalt fühlt sich die Wand unter meinen Händen an, als ich mich abdrücke, um mir ein Versteck zu suchen. Ducke mich hinter einen weißen Polo.
    Ein paar Herzschläge noch, ein paar Atemzüge, dann höre ich die Werwölfe kommen.

DREIZEHN
    Ganz dicht gehen sie an mir vorbei, Thursen und Norrock, Karr und noch einer. Ein Junge, helle Haare, groß. Ist das Rawuhn? Das muss Rawuhn sein! Rawuhn in seiner menschlichen Gestalt!
    Sind das noch Menschen? Ich habe sie für Menschen gehalten. Haben mit ihnen geredet, gelacht wie mit Menschen, immer. Aber hier, außerhalb ihres Waldes, der ihr Element ist, sieht man, dass sie es nicht sind. Nicht mehr.
    Sie sehen mich nicht, gucken nicht rechts und links. Ihre Gesichter sind ganz leer. Keine Wut, kein Zweifel, keine Neugier hat darin Platz.
    Wie konnte ich ihre Bewegungen, so schnell, weich und fließend, noch menschlich finden? Karr, der dort hinten geduckt zwischen den Autos läuft, von Schatten zu Schatten springt, als seien seine Gliedmaßen durch etwas anderes mit dem Körper verbunden als Muskeln und Sehnen.
    Viermal zischt es, dann

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