Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen
Hände in seinem Fell vergrabe und in den Schlaf hinübergleite.
Thursen verlässt am Morgen die Höhle. Viel zu früh für mich. Selbst als Wolf schläft er nie ruhig. Er will mich nicht wecken und tut es doch. Ich drehe mich leise auf die andere Seite und folge ihm nicht. Ich habe doch versprochen, bei Gabriella zu bleiben. Als Gabriella aufwacht, ist sie nach kurzem Blinzeln Mensch. Es sieht seltsam aus, als sie auf Wolfsart ihre Vorderbeine strecken will und es plötzlich Arme sind. Blasse Arme in grauen Jackenärmeln. Sie sieht mich ratlos an. Als hätte ich Antworten.
«Wie heißt du?», flüstere ich, habe selbst mehr Angst vor der Antwort als sie. Dreimal hat sie sich jetzt verwandelt.
Sie zieht die Stirn in Falten, blickt durch den Höhleneingang in die Ferne, als könnte sie die Antwort dort finden, unter einem Baum im Laub ablesen. «Zrrie», sagt sie schließlich. Es klingt wie eine Frage. Sie schmeckt dem Klang nach, und ich verstehe. Kein Name, niemand heißt so. Ein Wort. Ihr Wort ab jetzt für immer. Wie lange ihr «immer» auch sein mag.
Ich krieche nach ihr aus der Höhle. Die matte Spätherbstsonne steht am südlichen Himmel. Raureif hängt in den Zweigen, der erste in diesem Jahr. Die Kälte beißt mich. Die Nacht war unruhig und der Schlaf zerlöchert. Ist es wirklich schon fast Mittag? Ich bin wach und trotzdem bleiern müde. Tag und Nacht verschwimmen hier im Wald. Ich wandere hinunter zum Ufer, wo sich Thursen den Schlaf im eisigen Havelwasser abwäscht. Thursen im Wolfsfell. Ich würde erfrieren in meiner dünnen Menschenhaut. Er schüttelt die Tropfen aus seinem Pelz und kommt in langen Sätzen zu mir gesprungen. Verwandelt sich erst direkt vor mir. Einen Moment lang denke ich,der schwarze Wolf will an mir emporspringen. Dann ist er Mensch und lächelt mich an. In seinen Armen fühlt er mich zittern. Diesmal ist es Kälte, nicht Angst. Er streicht mir mit dem Handrücken über die Wange und schlüpft aus seinem Mantel. Als er ihn mir umlegen will, schrecke ich zurück. Denke an das Blut im Ärmel. Er lächelt, als er meinen Blick bemerkt. Der Blutfleck ist verschwunden, nur Einschuss- und Ausschussloch erinnern an seine Wunde. Wann endlich werde ich mich daran gewöhnen, dass im Wasser mit seinem Fell auch seine Kleidung gesäubert wird?
Ich wickle mir seinen Mantel um, noch über die Jacke. Frisch gewaschen ist auch das Shirt, das Thursen unter dem Mantel trägt. Dunkelgrau, ausgeblichen und an den Ärmeln verschlissen. Das Loch am Arm ist noch da. Das konnte das Wasser nicht wegwaschen. Ich komme näher, will mir die Wunde ansehen. Ein paar Tage ist sie erst alt. Ist sie entzündet? Sie hat ihn so geschmerzt, dass er seinen Arm nicht benutzen konnte. Neugierig greife ich nach seinem linken Arm und schiebe mit den Fingern vorsichtig die Stoffränder auseinander. Finde nur eine dunklere Stelle. Wo ist die Wunde? Ist das die falsche Stelle?
«Zieh aus», fordere ich, zeige auf sein Shirt.
«Lass mal lieber.» Er dreht sich weg.
Ich packe ihn am Shirt. «Ich denke, du frierst nicht?»
Er lächelt. «Doch, natürlich. Nur nicht so wie du!»
«Was dann? Genierst du dich?»
Er seufzt und streift sich sein Hemd über den Kopf. Einen Moment lang kann ich nichts als ihn ansehen. Mein Blick streicht über seine Muskeln. Seine Blässe macht ihn unwirklich. Aber als meine Fingerspitzen ihn berühren,ist er doch da. Über seine Brust wandert meine Berührung, das Schlüsselbein entlang, über die Schulter hinunter. Wohin? Ich packe ihn am Oberarm und drehe ihn zu mir. Ein länglicher Fleck, weiter nichts. Fast durchscheinende, frische Haut, wo eine verkrustete Wunde sein sollte!
Er bekommt eine Gänsehaut und verschränkt die Arme vor der Brust.
«Bist du fertig?», fragt er mit vor Kälte zusammengebissenen Zähnen.
«Aber …» Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Das geht einfach nicht! Das ist nicht möglich!
«Kann ich mich wieder anziehen?»
Ich nicke, obwohl ich ihn gerne noch angeschaut hätte. Angeschaut und angefasst. Er ist so schön.
Als er sein Shirt wieder anhat, gebe ich ihm auch den Mantel zurück.
«Nicht mehr kalt?», fragt er.
«Lass uns lieber ein bisschen herumlaufen», sage ich, «dann wird uns beiden warm.»
Wir gehen ein Stück. Nicht zu Sjölls Baum. Er wählt die andere Richtung. Ein Eichhörnchen huscht über uns durchs Geäst. Krähenschreie übertönen das Laubknistern unserer Schritte. Eine Weile gehen wir nur stumm nebeneinanderher. Ich
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