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Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Titel: Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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gehen, jetzt, wo sie –»
    «Luisa?» Auf einmal steht meine Mutter in der Zimmertür. Ihr Gesicht ist blass, und sie hält sich am Rahmen fest. «Was willst du bei der Polizei? Ist irgendwas passiert?»
    «Thursen, wir reden später weiter.» Ich drücke das Gespräch weg. «Alles in Ordnung», sage ich zu meiner Mutter. «Ich wollte Lars nur sagen, dass ich später komme. Wir wollten uns eigentlich treffen, aber ich muss mir noch Sportsachen kaufen.»
    «Wieso? Du hast doch welche.»
    «Die hab ich heute Morgen in der Bahn liegenlassen.»
    «Hast du das Fundbüro angerufen?»
    «Das bringt doch nichts. Und selbst wenn! Meine bekloppte Lehrerin will, dass ich morgen Sport in der anderen Gruppe mitmache, oder ich kriege für den ganzen Kurs null Punkte. Ich hasse diese Frau!»
    Plötzlich verzieht ein Lächeln das Gesicht meiner Mutter. Ein hoffnungsfrohes Lächeln, das aussieht wie vor dem Spiegel geübt. «Sport mochtest du schon früher nicht. Und immerhin gibt sie dir eine Chance. Komm, wir gehen zusammen neue Sportsachen für dich kaufen. Ein richtiger Mutter-Tochter-Einkaufsbummel. Wäre das nicht nett?»
    Das würde vor allem ziemlich lange dauern. Und ich will doch so schnell wie möglich mit Thursen reden. Aber irgendwas in ihrem Gesicht, ein Ausdruck von Trauer, der hinter ihrer aufgesetzten Freude nur unvollkommen verborgen ist, lässt mich trotzdem zustimmen.
    Als meine Mutter dann ein anderes Oberteil angezogen, ihre Haare gebürstet, ihre Schminke aufgefrischt hat, fahren wir zusammen los. Ins KaDeWe! Obwohl ich schon eine ganze Weile in Berlin wohne, habe ich das Kaufhaus noch nie betreten.
    Wir kommen durch den Haupteingang am Wittenbergplatz herein. Beeindruckend ist es, hell erleuchtet, goldene Verzierungen funkeln, überall Glas. Zwischen den Regalen stehen Vitrinen, in denen die ausgestellten Waren wirken wie seltene Schätze. Wir fahren nach oben. Und hier, in Berlins schickstem, größtem und berühmtestem Kaufhaus, sucht meine Mutter mir eine gesamte Sportausrüstung aus. Hallenschuhe, Hose, Top und einen neuen Beutel kauft sie mir auch noch. Und als wir dann, die große Plastiktüte in der Hand, gemeinsam im gläsernen Fahrstuhl stehen, drückt sie mit vorsichtigem Lächeln statt des «Abwärts»- den «Aufwärts»-Knopf. An den Stockwerken voller Menschen vorbei gleiten wir ganz nach oben in den siebten Stock, in dem sich das Restaurant befindet. Hier unter dem gläsernen gewölbten Dach des «Wintergartens» ist die Luft so viel besser als unten in den überheizten Abteilungen, dass ich erst einmal aufatme. «Nimm dir, was du willst», sagt meine Mutter, als wir gemeinsam am Stapel mit den Tabletts stehen. «Egal, wie viel es kostet.» Sie schiebt den Schulterriemen ihrer Tasche zurecht und nimmt mir die Einkaufstüte aus der Hand. Fasziniert gehe ich an den verschiedenen Buffets mit warmen und kalten Speisen entlang und nehme mir dann doch nur einen Obstkuchen aus einer Vitrine und zapfe mir einen Becher Tee. Meine Mutter balanciert auf ihrem Tablett bereits eine seltsame Zusammenstellung aus geeistem Fruchtsaft, Dessert, zwei Salaten, Bratwürstchen und Eiscreme. Als hätte sie von jedem Buffetstand wahllos etwas gegriffen und auf ihr Tablett gestellt. Jetzt schiebt sie noch eine Tasse Espresso neben den Teller mit Salat und geht lächelnd zur Kasse. Ich folge ihr. Beim Zahlen lässt meine Mutter ihr Portemonnaie fallen, und ich hocke mich auf den Boden, um die davonrollenden Münzen zu fangen. Es dauert, bis wir alles wieder eingesammelt haben. Doch die Kassiererin wartet auf ihr Geld, lächelt und tut, als sei das ganz normal. Als meine Mutter nach der Kasse zögernd und verloren stehen bleibt, haste ich los und ergattere für uns einen gerade freiwerdenden Tisch direkt am Fenster.
    Wir schieben unsere Tabletts auf den Tisch und setzen uns. Ich rühre Zucker in meinen Tee, während sich meine Mutter nur stumm im Restaurant umschaut. «Du hast das Besteck vergessen. Ich hole es dir schnell», sage ich.
    «Das ist nett! Danke!», sagt sie, als ich Löffel, Messer und Gabel zusammen mit einer Papierserviette klappernd auf ihr Tablett fallen lasse. «Ach, Luisa. Du bist so eine wunderbare Tochter.»
    «Schon gut, Mama.» Ich setze mich stuhlscharrend. Ich weiß, dass ich keine wunderbare Tochter bin. Dass ich mit meinem eigenen Leben viel zu viel zu tun habe, als dass ich noch Zeit und Kraft hätte, besonders nett zu meiner Mutter zu sein. Was ist nur mit ihr los? «Ist alles in

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