Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenblüte. Die Erwählten

Schattenblüte. Die Erwählten

Titel: Schattenblüte. Die Erwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
Vom Netzwerk:
genug, um zu wissen, dass er längst nicht so ruhig und unbeteiligt ist, wie er tut. Das zu erzählen, kostet ihn Überwindung, die er hinter der gleichgültigen Fassade verbirgt. Wieder einmal bewundere ich seinen selbstlosen Mut.
    Der trotzige Ausdruck auf Edgars Gesicht verwischt im nächsten Atemzug. Er steht auf und hebt das Mädchen auf seine Arme. «Ich schwöre es dir, Thursen», sagt er. Und daran, wie Irudit und Mauriks blinzeln und sich wegdrehen, merke ich, dass in seinem Blick diesmal das Feuer der Shinanim flackert.
    Er ist ein Shinan. Er sagt, er sei nur Edgar. Doch jetzt, wo er mit dem Mädchen auf dem Arm den Werwölfen ohne jede Angst gegenübersteht, entschlossen zu helfen, sehe ich seine Engelsmacht zum ersten Mal ganz deutlich. Das Mädchen scheint für ihn nicht mehr zu wiegen als eine zusammengerollte Decke. Er hätte fliehen und die Werwölfe abhängen können, mühelos. Wie konnte ich ihn so unterschätzen?
    Zrrie geht es wohl genauso. Sie wird Mensch und schlingt ihm die Arme um den Hals. Wortlos und eine Sekunde lang nur.
    «Viel Glück!», sage ich.
    «Ich …» Er zögert. «Nein. Bei dem, was ihr vorhabt, kann ich dir wohl kaum auch viel Glück wünschen, oder?»
    Polmeriak und Glowen umarmen sich ebenfalls.
    «Wir sehen uns am Tor!», sagt Glowen.
    «Versprich mir, dass du da sein wirst!», erwidert Polmeriak.
    «Klar, was denkst du denn, Bruder?»
    Ich suche Thursens Blick. Führe uns gut, denke ich. Lass sie das Versprechen halten.
    Dann trennen sich unsere Wege. Edgar trägt mit langsamen, vorsichtigen Schritten die junge Frau weg, die zitternd und mit geschlossenen Augen ihre Stirn an seine Schulter lehnt. Und wir, wir teilen uns auf und laufen los.
    Glowen und Rawuhn springen voraus. Wir folgen den Wölfen. Thursen joggt neben mir, seine Schritte im gleichen Rhythmus wie meine. Ich höre seinen Atem. Unsere Schritte sind weich und leise, doch die Wolfspfoten vor und hinter uns sind fast unhörbar. Krähen, die allgegenwärtigen Krähen begleiten uns wie stumme Schattenflecken im Mondlicht, ausgerissen aus schwarzem Papier.
    Als wir uns umdrehen, sehen wir, wie Norrock, Polmeriak und Rieke in die andere Richtung laufen. Wenn man es nicht besser weiß, könnte man denken, da joggt eine junge Frau mit ihren zwei schwarzen Hunden. Treu laufen sie bei Fuß, einer rechts, einer links. Bis sie verschwunden sind und nur noch die Fußabdrücke im Schnee zurückbleiben.
    Wir laufen weiter, wieder nach Westen. Der Plan ist Irrsinn. Irrsinn, wie alles in den letzten Tagen. Doch alles andere wäre noch tödlicher. Eisluft fließt mit jedem Atemzug in meine Lungen und einen Schritt später wieder heraus. Trotzdem beginne ich unter meiner Kleidung zu schwitzen.
    Mauriks läuft voraus und wechselt Irudit an der Spitze ab. Sie lässt sich zurückfallen, trabt neben Glowen und Roff und hat einen Blick auf Seddram, der die Wolfsgestalt hundertmal besser hält, als ich vermutet hätte. Will er sich nie mehr zurückverwandeln? Weiß er, dass dies möglicherweise das Ende ist? Vielleicht ist es ihm egal, schließlich wollte er sterben. Vielleicht aber hat auch der Wolf schon alle Erinnerung daran in ihm ausgelöscht.
    Die Werwölfe sind entschlossen, wenn schon, dann auf ihre Weise zu sterben. Sie werden nicht warten, bis Vittorios Leute sie aufgespürt haben und ihrem Leben ein Ende setzen. Norrocks und Thursens Plan ist ganz einfach. Wenn die Shinanim uns jagen, werden sie uns früher oder später finden und töten. Also hören wir auf, Gejagte zu sein und werden zu Jägern. So haben wir wenigstens eine kleine Aussicht auf Erfolg. So winzig sie auch sein mag.
    Thursen neben mir stolpert, fängt sich und ist einen Schritt später wieder im Gleichklang mit mir. Wir tauschen einen kurzen Blick. Wir sind nicht mutig. Wir tun nur, was zu tun ist, und denken nicht über die Folgen nach. Vielleicht sind wir auch wirklich verrückt.
    Wir müssen kaum den Wald verlassen. Das ist gut, denn die Stadt ist mir fremd geworden. Ich kann nicht unter Menschen sein, nicht an Ampeln stehen bleiben und nicht Radfahrern ausweichen. Nicht jetzt. Der Wald begleitet uns fast bis zum Ziel. Zwei kleine stille Straßen nur müssen wir überqueren, dann sind wir da. Wir zwängen uns durch den Zaun, leise und unsichtbar. Thursen zerbeißt einen Schmerzenslaut, als er versucht, sich mit seinem rechten Arm abzustützen. Er ist verletzt, immer noch verletzt. Wie soll er da kämpfen?
    Das Haus der Shinanim schickt den Glanz seiner

Weitere Kostenlose Bücher