Schattenblüte. Die Erwählten
Klamotten aus und streicht über die leichte Gänsehaut auf meinen Brüsten. «Du glaubst nicht, wie sehr mir das gefehlt hat. Ein warmer Platz. Endlich die ganzen dicken Klamotten ausziehen.» Er küsst mich auf das Schlüsselbein und beginnt eine Spur von kribbelnden warmen Küssen. «Ich habe schon ganz vergessen, wie du schmeckst.»
«Ich auch», sage ich, greife in seine Haare und ziehe sein Gesicht zu mir. Küsse ihn und fühle, wie seine ganze Wärme mich einhüllt. Er ist besser als ein Lagerfeuer. Nie könnte ein Lagerfeuer mein Herz so zum Hämmern bringen. Ich wünschte, ich hätte hundert Hände, um ihn überall zu berühren. So lange. So viele Tage, an den wir uns nur an den Fingerspitzen fassen konnten, weil uns der Frost sonst getötet hätte. Und jetzt bricht alle aufgestaute Glut hervor, und ich frage mich, ob wir beide zusammen, ganz zusammen, nicht den Schnee da draußen einfach zum Schmelzen gebracht hätten. Thursen mit seinem Atem, der stoßweise an meinem Ohr vorbeiflieht. Mit dem Schweiß, der sich mit meinem vermischt. Und wenn nicht, ich hätte die Kälte nicht gefühlt, kein bisschen.
Kein bisschen …
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Das letzte Kapitel
«LUISA?» Elias klopft an meine Zimmertür. Schon? Ich blinzele. Es ist noch fast Nacht, was will er? Da fällt es mir wieder ein. So viele Tage sind wir schon wieder in der Stadt. So viele Tage haben wir versucht, den Alltag zurückzuerobern. Zeit, zurückzukehren, es zu Ende zu bringen und Abschied zu nehmen. Heute wollen wir den Sonnenaufgang im Wald erleben. Heute treffen wir uns mit den anderen. Ob der Tag wieder so hell wird und klar? Schon gestern war einer dieser Tage, an denen sich die Erde nach langem Winterschlaf knisternd reckt und streckt, um vorsichtig tastend das neue Leben in sich zu erkunden. Die Frühlingssonne hat endlich den letzten Frost vertrieben. Thursen neben mir im Bett regt sich. Ich schenke ihm einen Kuss, lasse ihn noch ein wenig liegen und dusche zuerst.
In der Küche ist Elias. Natürlich war er vor uns wach. Er hält mir einen Becher hin. «Willst du Kaffee?»
«Danke.» Ich schnuppere daran. Milch und Zucker, wie ich es mag. «Vielleicht werde ich ja davon wach.»
«Oh, ich sehe, wir brauchen da noch einen Kaffee.» Elias seufzt, als Thursen mit von der Dusche feuchten Haaren auftaucht.
«Danke, dass du uns geweckt hast», sagt Thursen. Er weiß genau, dass Elias immer noch ein kleines Problem damit hat, wenn er bei mir übernachtet, und Thursen liebt es, darauf anzuspielen. Ich stelle meinen Kaffee ab, schiebe die Tasche mit den Blumen zur Seite, öffne das Fenster und lasse die Nachtluft herein. Die ersten Vögel singen leise und vereinzelt den Morgen herbei. Der Wald lockt, heute besonders. Ob sie schon da draußen sind? Warten sie dort auf uns zwischen den Bäumen?
Die anderen aus der WG , Saskia und Frederik, schlafen natürlich noch. Die sind normale Studenten, die geht es ja auch nichts an. Thursen und Elias holen Messer und Teller aus dem Schrank, während ich im Kühlschrank nach Essbarem suche.
«Fahren wir eigentlich gleich zusammen?», fragt Thursen und stapelt Teller auf den Tisch.
«Du fragst doch nur, weil ich der Einzige bin, der ein Auto hat.» Elias fährt jetzt statt seinem tollen schwarzen BMW , den er vom Rat der Shinanim bekam, einen Golf, den ihm sein Vater gekauft hat.
Thursen schmiert sich ein Brot. Es sieht fast bedrohlich aus, was er da mit dem Messer macht. «Ich frage, weil wir das gleiche Ziel haben.»
Elias hebt abwehrend die Hand. «Ganz ruhig, Werwolf. Ich würde euch ja gerne mitnehmen, aber ich muss vorher was erledigen. Wir treffen uns da.»
Als ich das Fenster schließe, fällt mir die Postkarte von meinem Vater in die Hand. Ich hefte sie an meine Pinnwand, unter das kleine Foto von Fabi. Mein Vater hat die Karte an meine alte Adresse geschickt. Vielleicht sollte ich einfach vergessen, ihm zu sagen, dass ich jetzt in einer WG lebe? Die Karte ist eine fröhliche Postkarte mit nichtssagendem Inhalt, österreichischer Briefmarke hinten und Sonnenschein und Bergen und Skiliften vor blauem Himmel auf der Vorderseite. Mein Vater und seine neue heile Familie, von der alten zerbrochenen kaum zu unterscheiden. Es ist ein gutes Gefühl, die Pinnwandnadel langsam durch die Karte zu bohren.
Heute soll es zum ersten Mal Frühlingswetter geben, auch wenn man noch nichts davon ahnt. Die Finsternis hängt zwischen den Häusern, als Thursen und ich uns auf den Weg machen. Stille
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