Schattenblüte. Die Erwählten
alles eben erst hier hereingestellt worden. Wie viel Mühe man sich mit mir macht. Braucht Vittorio mich tatsächlich, oder misstraut er mir, und ich bin ein Gefangener in einer Art Untersuchungshaft? Wenn ja, will man offenbar, dass ich es nicht merke. Auf dem Schreibtisch steht sogar eine Vase mit Blumen. Davor entdecke ich die Tasche mit meinem Laptop, die ich im Auto liegen gelassen habe. Ich hänge meine Jacke über den Stuhl, finde Streichhölzer in der Schreibtischschublade und entzünde die Kerzen. Ich packe meine Tasche aus. Alles ist noch genauso darin, wie ich es eingepackt habe. Offenbar hat niemand sie geöffnet. Meine Unterlagen für den Vortrag, den ich ja nun vielleicht doch noch halten werde, lege ich neben meinen Laptop auf den Schreibtisch.
Im Badezimmer sind Handtücher und Duschgel. Duschen kann ich jedenfalls. Und vielleicht sollte ich genau das tun, um erst einmal den Kopf frei zu bekommen. Ich habe mir immer gewünscht, Luisa wiederzusehen. Ich habe gehofft, dass es ihr gutgeht. Nun habe ich sie gesehen. Sie ist zu den Werwölfen gegangen und eine von ihnen geworden, und wir stehen auf zwei verschiedenen Seiten. Luisa ist meine Feindin. Und sie sah auch nicht aus, als würde es ihr gutgehen.
Ich stelle die Dusche ab, rubble meine Haare mit dem Handtuch trocken und schlüpfe in meine Boxershorts. Das Handtuch um die Schultern gehe ich zurück ins Zimmer.
Und ich bin nicht allein. Chiara, Chiara aus meiner Wohngruppe, sitzt auf dem Schreibtischstuhl und betrachtet meine Vortragsunterlagen. Als sie mich hört, dreht sie sich zu mir um. «Sind das die Unterlagen, die Adrian für dich ausgedruckt hat?»
«Was tust du hier?», frage ich.
«Hallo, Elias. Du hast die Kerzen unbeaufsichtigt brennen lassen. Das ist ganz schön unvorsichtig, sieht dir gar nicht ähnlich. Da habe ich mir lieber schon mal die Tür öffnen lassen, um sie im Blick zu haben.» Sie tastet meinen halbnackten Körper mit Blicken ab. «Entschuldige bitte, wenn ich dich überrascht habe.»
Warum ist sie wirklich hier? Na gut, stelle ich mich dumm und spiele ihr Spielchen mit. Ich lächle das Lächeln, das mir im Krankenhaus immer einen Kaffee von den Schwestern eingebracht hat. «Wenn das hier jetzt ein amerikanischer Film wäre, würde ich dich fragen, ob dir gefällt, was du siehst.»
«Und ob es mir gefällt, wäre ganz egal, nicht wahr? Weil die einzige Frau, von der dich das interessiert, ja eine andere ist.»
«Falls du auf Luisa anspielst – ich weiß, dass sie mit Thursen zusammen ist.»
«Und das scheint dich mehr zu stören als die Tatsache, dass sie jetzt ein Werwolf ist.»
Ich weiß, wohin ich gehöre, zu den Shinanim und nicht zu Werwölfen. Doch es reicht, wenn Vittorio das weiß. «Also gut, noch mal von vorne. Was tust du in meinem Zimmer, Chiara?»
«Zieh keine falschen Schlüsse, Elias. Man hat mich beauftragt, dir ein paar Sachen zu bringen.» Chiara greift nach der kleinen Reisetasche, die neben ihr auf dem Boden steht, und stellt sie auf meinen Schreibtisch. «Hier. Ich habe alles eingepackt, von dem ich dachte, dass du es hier brauchen würdest.»
Ich ziehe den Reißverschluss auf, sehe hinein und erkenne Stifte, Bücher, einen Schreibblock. Das lege ich neben meine Unterlagen. Darunter sind meine persönlichen Dinge. Meine Kulturtasche, hoffentlich mit Rasierer und Zahnbürste, ein Schlafanzug, Socken, und da guckt noch etwas hervor. «Oh, da ist ja auch meine Unterwäsche. Herzlichen Dank.»
Sie schlägt die Beine übereinander und sieht zu mir hoch. «Nicht rot werden. Die Klamotten und das Rasierzeug hat Adrian eingepackt.»
«Wenn er das schon gepackt hat, warum kommt er nicht auch selbst her, um es mir zu bringen?» Es wäre nett, einen Freund hier zu haben.
«Wir dachten, du hast noch irgendwelche wichtigen Anweisungen für die nächste Woche, die du mir persönlich mitteilen möchtest. Änderungen der Trainingspläne oder einen Tipp, wo in der Stadt wir vermehrt aufpassen müssen.»
«Nein, ich habe keine Anweisungen, die so wichtig sind, dass sie nicht bis morgen warten können. Wenn der Rat getagt hat, müssen wir sowieso besprechen, was wir wegen der Werwölfe unternehmen. Warum sollte ich sie übrigens gerade dir mitteilen und Adrian nicht?»
«Weil Vittorios Büro entschieden hat, dass wir, also Konstantin und ich, in deiner Abwesenheit die Gruppe leiten.»
«Ihr leitet meine Gruppe?» Chiara, die Einzige aus meiner Gruppe, die ich nicht selbst ausgesucht habe, die Einzige, die
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