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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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brauchst du das nicht zu sagen, Junge», warnte
    Hoss und zeigte mit einem Finger auf Jeffrey. «Ich kann
    niemanden zwingen, wenn er sich weigert.»
    «So ein Quatsch», gab Jeffrey zurück. «Er ist ein ver‐

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    dammter Häftling. Wenn du willst, kannst du ihn in seiner eigenen Scheiße schlafen lassen.»
    «Ich war aber nicht hier! », brauste Hoss auf. «Gottver‐
    dammt, ich war doch gar nicht hier.» Er wischte sich über den Mund, und Jeffrey konnte seinen Kummer förmlich
    greifen. Egal, wie mies sich Jeffrey fühlte, Hoss ging es schlimmer.
    «Wer war es?», fragte er Robert. «War es Reggie Ray?
    Wenn er es war, dann –»
    Doch Robert unterbrach ihn: «Reggie Ray kann nichts
    dafür.»
    «Wenn er –»
    «Ich habe darum gebeten, zu den anderen zu kommen»,
    sagte Robert. «Ich wollte wissen, wie es ist.»
    Jeffrey fiel dazu nichts mehr ein.
    Hoss rückte sich den Pistolengurt zurecht, genau wie
    Reggie es getan hatte. «Ich geh raus. Sieh zu, dass du dich
    wieder beruhigst», sagte er zu Jeffrey. Sein Ton war deutlich genug, doch er unterstrich seine Botschaft, indem er die Tür zuschlug.
    Jeffrey musste der Sache auf den Grund gehen. «Was ist
    passiert?»
    Robert zuckte die Achseln, dann verzog er vor Schmerz
    das Gesicht. «Ich habe geschlafen. Irgendwann haben sie
    mich geweckt und in die große Zelle gesteckt.»
    Jeffrey konnte es nicht fassen, dass Polizisten einem
    von ihnen so etwas antaten. Es gab einen Ehrenkodex, und
    Robert hielt sich sogar jetzt, nach dem, was die Schweine ihm angetan hatten, noch daran.
    «Warum hast du nicht um Hilfe gerufen?»
    «Wen denn?», fragte Robert traurig. «Sie haben doch
    alle nur darauf gewartet, dass so etwas passiert.» Er nickte

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    mit dem Kopf in Richtung der Hilfssheriffs. «Es ist noch genauso wie früher, Jeffrey. Nichts hat sich verändert. Alle
    haben nur darauf gewartet, dass ich Scheiße baue, damit
    sie mich den Löwen zum Fraß vorwerfen können.» Er
    lachte verbittert. Jeffrey wagte kaum sich vorzustellen,
    wie fürchterlich die Nacht gewesen sein musste. Für die
    anderen Häftlinge war es wahrscheinlich wie Weihnach‐
    ten, dass sie ihre Aggressionen eine ganze Nacht lang an einem Polizisten auslassen durften.
    Robert fuhr fort: «All die Jahre ... ich habe wirklich gedacht, ein paar von ihnen wären meine Freunde ... dass ich
    mich bewährt hätte.» Er hielt inne, rang um Fassung. «Ich hatte eine Frau. Ich hatte eine Familie. Verdammt, ich war Trainer bei der Little League. Wusstest du das? Wir haben es letztes Jahr bis zu den Junior‐Meisterschaften geschafft.
    Wir hätten fast gewonnen, aber einer der Thompson‐
    Jungs hat einen Rückpass versiebt.» Er lächelte bei der
    Erinnerung. «Wusstest du das? Wir haben es bis ins große Stadion in Birmingham geschafft.»
    Jeffrey schüttelte den Kopf. Mit diesem Mann war
    er aufgewachsen, er hatte jeden Tag seiner Jugend mit
    ihm verbracht, doch von seinem Leben als Erwachsener
    wusste er nichts.
    «Man weiß eben nie, was die Leute von einem halten,
    oder?», sagte Robert. «Du gehst zu ihren Spielen und Picknicks, siehst ihre Kinder heranwachsen, hörst von Schei‐
    dungen und Affären, doch das alles ist einen Scheißdreck
    wert. Sie lachen dir ins Gesicht, während sie dir von hinten
    den Dolch in den Rücken rammen.»
    «Du hättest Hoss gestern Nacht, anrufen sollen», sagte
    Jeffrey. «Er wäre runtergekommen und hätte alles ge‐
    klärt.»

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    «Dann wäre es beim nächsten Mal nur noch schlimmer
    gewesen.»
    «Schlimmer?», fragte Jeffrey, «Was kann schlimmer
    sein, als dass sie dir die Seele aus dem Leib prügeln?» Doch
    dann fielen ihm selbst Antworten auf seine Frage ein. Mit weichen Knien ließ er sich neben Robert in den Stuhl sinken. «Sie haben dich doch nicht ...»
    Mit erloschener Stimme wehrte Robert ab. «Nein.»
    Jeffrey legte sich die Hand auf den Bauch, ihm war spei‐
    übel. «Himmel ...», flüsterte er.
    Roberts Hände begannen zu zittern, und erst jetzt sah
    Jeffrey, dass er Handschellen trug.
    «Warum hast du Handschellen an?»
    «Ich bin ein gefährlicher Verbrecher», erinnerte ihn Ro‐
    bert. «Ich habe zwei Menschen getötet.»
    «Das hast du nicht», widersprach Jeffrey «Robert, ich
    weiß, dass du es nicht warst. Warum lügst du?»
    «Ich kann das nicht», sagte Robert. «Ich dachte, ich wäre
    stark genug, aber das bin ich nicht.»
    Jeffrey legte Robert die Hand auf die Schulter, doch er
    nahm sie wieder weg, als er merkte, wie sein Freund

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