Schattenblume
alles in die Schuhe.»
«Und was für einen Fehler hast du gemacht?»
Jeffrey hielt ihr die Kette hin. «Als ich Hoss das hier gezeigt habe, wollte er nichts davon wissen.»
Sara sah sich das billige goldene Herz mit den Fotos an.
Die Kinder waren noch Säuglinge, wahrscheinlich erst ein
paar Wochen alt.
Jeffrey sagte: «Sie hat es immer getragen. Jeder wusste
das, nicht nur ich.» Er lachte bitter. «Niemand wusste, was
sie dafür getan hatte. Keiner wollte es gewesen sein, verstehst du? Einmal kam sie mit einem neuen Kleid zur
Schule, und wir haben uns das Maul darüber zerrissen, wer
es ihr gekauft und was sie dafür getan hatte. Das hier» – er
zeigte auf die Kette –, «sie hat es überall rumgezeigt. Sie wusste es nicht besser. Sie dachte, es wäre teuer. Es ist nicht
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mal echtes Gold, nur vergoldet.» Er ließ die Schultern hängen. «Keine Ahnung, was sie dafür getan hat.»
«Es sieht alt aus», sagte Sara.
Er zuckte die Achseln.
«Was ist mit den Fotos?»
Er nahm das Medaillon und sah sich die Fotos an.
«Keine Ahnung.»
«Also hast du gestern in der Höhle gewusst, dass sie es war?» Sara fragte sich, warum er nicht gleich etwas gesagt
hatte.
«Ich wollte nicht glauben, dass sie es ist», sagte Jeffrey.
«Ich habe mich ein Leben lang wegen Sachen geschämt,
für die ich nichts konnte.» Er seufzte. «Meine Eltern, das Haus, in dem ich wohnte, die Klamotten, die ich anhatte.
Ich wollte besser sein als die Verhältnisse, aus denen ich kam.» Er ließ den Blick durch die Küche schweifen. «Deswegen bin ich weggegangen, deswegen wollte ich unbe‐
dingt fort von hier und nie wiederkommen. Ich hatte es
satt, Jimmy Tollivers Sohn zu sein. Ich hatte es satt, dass mich die Leute auf der Straße anstarrten und nur darauf
warteten, dass ich was falsch machte.»
Sara wartete.
«Du hast erkannt, dass in mir was Gutes steckt.»
Sie nickte.
«Warum?», fragte er. Er suchte offenbar wirklich eine
Antwort auf diese Frage.
«Ich weiß nicht ...» Sie brach ab und zuckte die Achseln.
«Ich wünschte, ich wüsste es. Mein Kopf sagt mir alles Mög‐
liche ...» Was, führte sie nicht näher aus. «Aber ich fühle es
hier drinnen.» Sie tippte sich an die Brust. «Ich fühle es an der Art, wie du Liebe mit mir machst, und daran, dass du deine Schuhe mit einem Doppelknoten schnürst, damit die
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Schleife nicht aufgeht, und daran, wie du zuhörst – genau wie jetzt – und wirklich hören willst, was ich zu sagen habe,
weil du ehrlich wissen willst, was ich denke.» Sie dachte an
den Brief des Soldaten, den er ihr vorgelesen hatte. Es schien
eine Ewigkeit her zu sein. Besser konnte sie es nicht erklä‐
ren. «Und ich glaube, dass du mich auch so siehst.»
Er legte seine Hand auf ihre. «Diese Sache mit den Kno‐
chen. Es wird mächtig Wirbel geben.»
«Was meinst du?»
«Julia», sagte er. Offensichtlich fiel es ihm schwer, den Namen über die Lippen zu bringen. «Ich brauche dich hier,
Sara. Ich brauche dich, weil nur du siehst, wer ich wirklich bin.»
«Sag mir, was los ist.»
«Ich kann nicht», sagte er. Sie glaubte, Tränen in sei‐
nen Augen zu sehen, doch er wandte den Kopf ab. «Es ist ein einziges Chaos», sagte er. «Ich dachte, Robert hat vielleicht ...»
«Robert hat was?»
Sie sah, wie sich sein Adamsapfel bewegte, als er
schluckte. «Robert sagt, er hätte sie umgebracht.»
Sara fasste sich ans Herz. «Was?»
«Das hat er gestern gesagt.»
«Gestern Morgen?»
«Nein. Nachdem wir die Knochen gefunden haben.»
Sara wollte ihn darauf hinweisen, dass die Reihenfolge un-logisch war, doch Jeffrey fuhr fort. «Ich habe ihm die Kette
gezeigt, und er hat gesagt, er hätte ihr mit einem Stein den
Kopf eingeschlagen.»
Sara lehnte sich zurück. Sie versuchte zu verstehen, was
er da sagte. «Hast du ihm von dem Schädelbruch erzählt?»
«Nein.»
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«Woher kann er das gewusst haben?»
«Vielleicht von Hoss. Warum?»
«Weil es nicht die Todesursache war», sagte Sara. «Das
mit dem Schädelbruch war mindestens drei Wochen vor
ihrem Tod.»
«Bist du dir sicher?»
«Natürlich bin ich mir sicher», erklärte Sara. «Knochen
sind lebendiges Gewebe. Der Bruch heilte bereits, als sie ermordet wurde.»
«Es sah aus, als hätte ihr jemand den Schädel einge‐
schlagen.»
«Das war nochmal was anderes. Vielleicht ein Stein aus
der Höhle oder ein Tier ...» Sie wollte ihm nicht erzählen, was die Tiere noch alles mit ihr angestellt hatten.
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