Schattenblume
Taschenbuch in die Hand. «Diese
Diskussion möchte ich wirklich nicht mit meiner Mutter
führen.»
«Deine Mutter ist wahrscheinlich die einzige Frau auf
der Welt, die dir das sagt», fuhr Cathy unbeirrt fort. Sie setzte sich aufs Bett und wartete, bis Sara sich zu ihr umdrehte. «Männer wie Jeffrey wollen nur das eine.» Sara
wollte den Mund aufmachen, doch ihre Mutter war noch
nicht fertig. «Das ist so lange in Ordnung, solange du auch
etwas davon hast.»
«Mutter.»
«Für manche Frauen ist Sex ohne Liebe kein Problem.»
«Ich weiß.»
«Ich meine es ernst, Liebling. Also hör zu. Du gehörst
nicht zu diesen Frauen.» Sie strich Sara eine Haarsträhne hinters Ohr. «Du bist nicht der Typ für Affären. Das bist du noch nie gewesen.»
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«Davon weißt du doch gar nichts.»
«In deinem ganzen Leben warst du nur mit zwei Män‐
nern zusammen. Wie viele Frauen hatte Jeffrey wohl? Mit
wie vielen hat er geschlafen?»
«Ich schätze, mit einigen.»
«Und du bist eben nur eine von vielen. Deswegen ist
dein Vater sauer auf dich –»
«Findet ihr nicht, es wäre ganz nett, ihn erst mal kennen zu lernen, bevor ihr euch ein Urteil bildet?», fragte Sara.
Zu spät fiel ihr ein, dass Jeffrey schon auf dem Weg hierher war. Sie wagte einen Blick auf die Uhr. In zehn Minuten würde ihre Mutter all ihre Vorurteile bestätigt sehen.
Wenn sogar Jill‐June Mallard es ihm ansah, dann wüsste
Cathy Linton Bescheid, sobald er einen Fuß durch die Tür gesetzt hätte.
Cathy beharrte: «Du bist nun einmal kein Flittchen,
Liebes.»
«Vielleicht bin ich es geworden. Vielleicht bin ich in Atlanta ein Flittchen geworden.»
«Wenn du meinst.» Cathy zog eine Unterhose aus dem
Stapel und runzelte die Stirn. «Diese gehören nicht in
die Maschine», schimpfte sie. «Wenn du sie mit der Hand
wäschst und auf die Leine hängst, gehen sie nicht so
schnell kaputt.»
Sara zwang sich zu lächeln. «Sie sind nicht kaputt.»
Cathy zog die Brauen hoch, ein Funke von Anerken‐
nung war in ihren Augen. Trotzdem fragte sie: «Mit wie
vielen Männern bist du zusammen gewesen?»
Sara sah auf die Uhr und flüsterte: «Bitte.»
Cathy ignorierte es. «Ich weiß von Steve Mann. Liebe
Güte, die ganze Stadt hat es gewusst, nachdem Mac An‐
ders euch hinter der Hotdog‐Bude erwischt hat.»
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Sara starrte auf den Fußboden und versuchte, nicht vor
Scham in den Boden zu versinken.
Cathy fuhr fort. «Mason James.»
«Mama.»
«Das sind zwei.»
«Du vergisst den letzten», erinnerte sie Sara, doch sie
bereute es, als sie sah, wie sich das Gesicht ihrer Mutter verfinsterte.
Cathy legte Saras Pyjamahose zusammen. Dann fragte
sie mit sanfterer Stimme: «Weiß Jeffrey von der Verge‐
waltigung?»
Sara versuchte ruhig zu bleiben. «Das Thema hat sich
noch nicht ergeben.»
«Was hast du ihm denn gesagt, warum du von Atlanta
weggegangen bist?»
«Nichts», sagte sie einfach und behielt die Tatsache für
sich, dass Jeffrey auch nicht besonders neugierig gewesen
war.
Cathy strich den Pyjama glatt. Als sie nach einem
nächsten Kleidungsstück griff, stellte sie fest, dass sie bereits alles auf dem Bett neu gefaltet hatte. «Du darfst dich
nicht dafür schämen, was passiert ist, Sara.»
Sara zuckte die Achseln, dann stand sie auf, um ihren
Koffer zu holen. Es ging nicht darum, dass sie sich schämte,
sie hatte ganz einfach die Nase voll davon, dass die Leute sie anders behandelten als normale Menschen – besonders
ihre Mutter. Mit den besorgten Blicken und peinlichen
Redepausen der Hand voll Leute, die wussten, weshalb
sie wirklich nach Grant County zurückgekommen war,
konnte sie gerade noch umgehen, doch das gespannte Ver‐
hältnis zu ihrer Mutter wurde immer unerträglicher.
Sara öffnete den Koffer und begann die Sachen einzupa‐
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cken. «Ich sage es ihm, wenn die Zeit reif dafür ist. Falls die
Zeit je reif ist.» Wieder zuckte sie die Achseln. «Vielleicht ist die Zeit nie reif.»
«Man kann keine stabile Beziehung aufbauen, wenn
man Geheimnisse voreinander hat.»
«Es ist kein Geheimnis», gab Sara zurück. «Es ist nur
sehr persönlich. Es ist etwas, das mir passiert ist, und ich habe einfach keine Lust ...» Sie beendete den Satz nicht.
Mit ihrer Mutter über die Vergewaltigung zu sprechen, so
weit war sie noch nicht. «Gibst du mir bitte die Baumwoll-bluse da?»
Cathy sah sie missbilligend an, dann gab sie ihr die
Bluse. «Ich habe zu viele Frauen gesehen, die gekämpft
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