Schattenblume
ha‐
ben, um so weit zu kommen wie du, und dann haben sie in
einer Minute alles über den Haufen geworfen für einen
Mann, der sie ein paar Jahre später sitzen gelassen hat.»
«Ich gebe für Jeffrey doch nicht meine Karriere auf.»
Sara lachte bitter. «Schwanger werden und Kinder groß‐
ziehen müssen geht schließlich nicht.»
Cathy quittierte den Kommentar mit einem finsteren
Blick. «Darum geht es doch nicht, Sara.»
«Worum geht es dann, Mama? Worüber machst du dir
solche Sorgen? Was könnte ein Mann mir Schlimmeres
antun als das, was schon geschehen ist?»
Cathy betrachtete ihre Hände. Sie weinte nie, doch
manchmal, wenn sie schwieg, brach es Sara fast das Herz.
Sara setzte sich zu ihrer Mutter aufs Bett. «Tut mir
Leid», sagte sie, obwohl sie es satt hatte, sich zu entschuldigen. Sie hatte solche Schuldgefühle, dass sie ihrer an‐
sonsten so vollkommenen Familie all das aufbürdete, und
manchmal dachte sie, es wäre das Beste, zu gehen und die
Familie endlich wieder zur Ruhe kommen zu lassen.
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Cathy sagte: «Ich will nicht, dass du dich aufgibst.»
Sara hielt die Luft an. Ihre Mutter hatte ihre Ängste
noch nie ausgesprochen. Sara wusste wahrscheinlich bes‐
ser als jeder andere, wie leicht es war aufzugeben. Nach der Vergewaltigung hatte sie nur noch heulend im Bett
gelegen. Sie hatte keine Ärztin, keine Schwester, keine
Tochter mehr sein wollen. Zwei Monate lang hatte Cathy
gebettelt und gefleht, und schließlich hatte sie Sara buch-stäblich aus dem Bett geworfen. Und dann tat Cathy, was
sie schon in Saras Kindheit immer getan hatte – sie hatte Sara in die Kinderklinik gebracht, und diesmal verarztete
Dr. Barney Sara, indem er ihr einen Job in seiner Praxis gab. Ein Jahr später hatte Sara dann noch ein zweites Amt
übernommen und war Gerichtsmedizinerin von Grant
County geworden, um das Geld für die Übernahme von
Dr. Barneys Praxis aufzutreiben. Nach zweieinhalb Jahren
hatte sie sich in Grant County ein neues Leben aufgebaut, und nun hatte Cathy Angst, sie würde wegen Jeffrey alles hinschmeißen.
Sara stand auf und ging zum Schrank. «Mama ...»
«Ich mache mir Sorgen.»
«Mir geht es wieder gut», sagte Sara, auch wenn sie
wusste, dass sie nie vollkommen genesen würde. Es würde
immer ein Vorher und ein Nachher geben, egal, wie viel
Zeit verstrich. «Du musst dich nicht mehr um mich küm‐
mern. Ich bin stark. Ich schaffe das schon.»
Cathy warf die Arme in die Luft. «Er will sich nur amü‐
sieren mit dir. Das ist alles, was er will – Spaß.»
Sara zog eine Schublade nach der anderen auf, auf der
Suche nach ihrem Badeanzug. Dann sagte sie: «Vielleicht
will ich ja dasselbe. Vielleicht will ich auch einfach nur ein bisschen Spaß.»
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«Ich wünschte, das könnte ich dir glauben.»
«Das wünschte ich auch», sagte Sara. «Weil es stimmt.»
«Ich weiß nicht, Liebes. Du hast ein so weiches Herz.»
«So weich ist es nicht mehr.»
«Was in Atlanta passiert ist, macht dich nicht zu einem
anderen Menschen.»
Sara zuckte die Achseln und steckte den Badeanzug in
den Koffer. Es hatte die Menschen um sie herum verän‐
dert, und das machte alles noch schwerer. Sara war voller Wut, dass sie vergewaltigt worden war, und sie war wü‐
tend, weil das Monster, das über sie hergefallen war, wahr‐
scheinlich in ein paar Jahren wegen guter Führung aus
dem Gefängnis entlassen würde. Sie war stinksauer, weil
ihr ganzes Leben plötzlich Kopf gestanden hatte. Sie hatte
die Stelle im Grady Hospital aufgeben müssen, auf die
sie so lange hingearbeitet hatte, weil die Kollegen bei der Notaufnahme sie wie ein rohes Ei behandelten. Die Assis-tenzärztin, die sie nach der Vergewaltigung versorgt
hatte, konnte Sara danach nicht mehr in die Augen sehen, und die Kommilitonen machten keine Witze mehr, aus
lauter Angst, sie könnten etwas Falsches sagen. Selbst die Krankenschwestern behandelten Sara mit Samthand-schuhen, als machte sie die Vergewaltigung zu einer Art
Heiligen.
Cathy sagte: «Mehr willst du nicht dazu sagen? Heißt
dieser Blick, dass das Thema für dich beendet ist?»
«Ich will nicht darüber sprechen», gab Sara entnervt zu‐
rück. «Ich will kein ernstes Gespräch führen. Ich habe es satt, ernst zu sein.» Sie zog den Reißverschluss des Koffers
zu. «Ich habe es so satt, die Musterschülerin zu sein. Ich habe es satt, zu groß für die süßen Typen zu sein. Ich habe
es satt, mit Männern auszugehen, die
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