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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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fand, dass Angriff noch immer die beste Verteidi‐
    gung war. «Ziemlich billiger Trick, mich über dein Leben
    aufzuklären, ohne dass du ein Wort sagen musst.»
    «Ich sag doch, ich würde nicht alles glauben, was Nell
    erzählt.»
    «Sie kennt dich, seit du sechs Jahre alt warst.»
    «Sie ist nicht gerade mein größter Fan.»
    Langsam dämmerte Sara, was es mit der Spannung zwi‐
    schen den beiden auf sich hatte. «Sag nicht, ihr beiden wart
    mal ein Paar?»
    Er antwortete nicht, und sie nahm das als Bestätigung.
    «Wir sind da», sagte er schließlich und zeigte auf ein
    Häuschen, vor dem ein alter Chevy Impala parkte. Trotz
    seines Anrufs hatte Jeffreys Mutter offensichtlich kein

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    Licht für sie angelassen. Das Haus lag in vollkommener
    Finsternis.
    Sara zögerte. «Vielleicht sollten wir lieber im Hotel
    übernachten?»
    Er lachte und half ihr über den Schotterweg. «Hier gibt
    es keine Hotels. Bis auf den Schuppen hinter der Kneipe, wo die Fernfahrer die Zimmer stundenweise mieten.»
    «Klingt doch romantisch.»
    «Für die Fernfahrer vielleicht.» Er führte sie zur Haus‐
    tür. Selbst im Dunkeln konnte Sara sehen, dass das Haus
    zu denen gehörte, die der Verwahrlosung anheim gefallen
    waren. Jeffrey warnte sie: «Vorsicht, Stufe», und tastete
    mit der Hand über den Türrahmen.
    «Sie schließt die Tür ab?»
    «Als ich zwölf war, wurden wir ausgeraubt», erklärte
    er und klimperte mit dem Schlüssel. «Seitdem hat sie
    Angst.» Die Tür klemmte ein bisschen, und er half mit
    einem gezielten Tritt nach. «Willkommen.»
    Drinnen stank es überwältigend nach Nikotin und Al‐
    kohol. Sara war froh, dass die Dunkelheit ihr Gesicht verbarg. Das Haus war stickig, und Sara konnte sich kaum
    vorstellen, hier zu übernachten, geschweige denn hier zu
    leben.
    «Alles in Ordnung», sagte Jeffrey und schob sie in den
    Flur.
    Sie flüsterte: «Müssen wir nicht leise sein?»
    «Die verschläft sogar einen Tornado.» Er machte die
    Tür hinter ihnen zu. Dann schloss er wieder ab, und sie hörte, wie er den Schlüssel in eine Glasschüssel fallen ließ.
    Sara spürte seine Hand unter ihrem Ellbogen. «Hier
    geht's lang.» Er ging dicht hinter ihr. Nach vier Schritten durch den Eingangsbereich stand Sara plötzlich vor dem

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    Esstisch. Noch drei Schritte und sie befanden sich in einem
    kleinen Flur, der von einem Nachtlicht schwach erleuchtet
    wurde. Vor ihr war das Bad, rechts und links je eine geschlossene Tür. Jeffrey öffnete die rechte Tür und folgte Sara hinein. Er schloss die Tür hinter sich, bevor er Licht anmachte.
    «Oh», sagte Sara und sah sich blinzelnd in dem kleinen
    Zimmer um. Ein schmales Bett mit grünen Laken, ohne
    Decke, stand in einer Ecke unter dem Fenster. Poster von halb nackten Frauen schmückten die Wände, den Ehrenplatz über dem Bett nahm Farrah Fawcett ein. Nur der
    Wandschrank fiel aus dem Rahmen: Auf seiner Tür
    prangte das Poster eines kirschroten Mustang Cabrios mit
    einer Wasserstoffblondine, die sich über die Kühlerhaube
    beugte – wahrscheinlich weil sie wegen des Gewichts ihrer
    silikonvergrößerten Brüste nicht aufrecht stehen konnte.
    «Reizend», bemerkte Sara und fragte sich, wie viel
    schlimmer der Schuppen hinter der Kneipe sein konnte.
    Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, wirkte Jeffrey ver‐
    legen. «Meine Mutter hat nichts verändert, seit ich weg‐
    gezogen bin.»
    «Das sehe ich», sagte Sara. Und irgendwie machte es sie
    sogar ein bisschen an. Ihre Eltern hatten ihr immer einge-bläut, dass Jungenzimmer tabu seien, und so hatte Sara
    noch nie eins betreten. Auch wenn die Poster wenig über‐
    raschend waren, da war noch etwas anderes in diesem
    Zimmer, eine Art Essenz. Es roch nicht nach Zigaretten‐
    rauch und Bourbon. Das hier roch nach Schweiß und Tes‐
    tosteron.
    Jeffrey legte ihren Koffer auf den Boden und öffnete
    den Reißverschluss für sie. «Ich weiß, du bist anderes gewohnt», sagte er. Er wirkte immer noch verlegen. Sie ver-106
    suchte seinen Blick aufzufangen, doch er war mit seiner
    Reisetasche beschäftigt. Sie sah an seiner Haltung, dass
    er sich für sein Elternhaus schämte. Dafür, dass er hier aufgewachsen war. Jetzt betrachtete Sara das Zimmer in
    einem anderen Licht. Ihr fiel auf, wie ordentlich es war.
    Die Poster hingen in genau gleichem Abstand voneinander
    an den Wänden, als hätte er beim Aufhängen ein Lineal
    benutzt. Auch seine Wohnung in Grant County spiegelte
    seine Ordnungsliebe wider. Sara war

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