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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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mir.»
    «Lass mich», wiederholte sie und riss sich los.
    Jeffrey war so wütend und verzweifelt, dass er mit der
    Faust gegen die Wand schlug. Sara zuckte zusammen. In
    ihren Augen flackerte Angst, dann purer Hass.
    «Sara», sagte er. Er hob die Hände und trat einen Schritt zurück. «Ich wollte nicht ...»
    Ihr Mund wurde zu einer schmalen Linie. Ihre Stimme
    war tiefer als gewöhnlich, als bemühe sie sich, nicht zu schreien. Er hatte sie noch nie richtig wütend gesehen, und
    etwas an ihrer Beherrschtheit jagte ihm mehr Furcht ein,
    als wenn sie ihm eine Kanone an den Kopf gehalten hätte.
    «Hör gut zu», zischte sie zwischen zusammengebissenen
    Zähnen hervor. «Du kannst mich nicht einschüchtern!»
    Er versuchte sie zu beruhigen. «Ich wollte dich nicht ...»
    Sie wich zurück. «Und wenn du mich noch ein Mal an‐
    fasst, dann bringe ich dich mit bloßen Händen um.»
    Jeffrey stockte das Herz. Wenn sie ihn so ansah, fühlte
    er sich dreckig und gemein, wie der letzte Schläger. Kein Wunder, dass sein Vater sich regelmäßig mit Schnaps die
    Kante gegeben hatte, wenn er seine Frau geschlagen hatte.
    Ihr Hass musste sich angefühlt haben, als zerfleischte sie ihn bei lebendigem Leib.
    Draußen sah Jeffrey, wie Hoss und seine Hilfssheriffs
    aufs Haus zukamen. Er schluckte und versuchte ein letztes
    Mal, vernünftig mit Sara zu reden.
    «Alles, was wir haben, sind Fragen», sagte er. «Ich sorge dafür, dass du die Obduktion durchführst, in Ordnung?
    Morgen reden wir nochmal mit Bobby und Jess, ja? Gib
    mir nur ein bisschen Zeit, dass ich rausfinden kann, was zum Teufel hier los ist, bevor du meinen besten Freund auf
    den gottverdammten elektrischen Stuhl schickst!»

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    Sie sah ihm nicht in die Augen, doch ihre Wut war wie
    eine Sirene, die ihm in den Ohren schrillte.
    «Sara –»
    Hoss klopfte an die Tür, und Jeffrey legte die Hand auf den Türknauf, als könnte er ihn damit aufhalten. Der Alte warf ihm einen stechenden Blick durchs Fenster zu, und
    Jeffrey kam sich wieder vor wie fünfzehn, als er vor dem Warenhaus mit dem Radio erwischt worden war, das er
    nicht bezahlt hatte.
    Sara griff nach dem Türknauf, und Jeffrey öffnete die
    Tür.
    «Sieh mal einer an.» Hoss streckte die Hand aus, und
    Jeffrey schüttelte sie. Der alte Mann packte erstaunlich
    fest zu. Sein Haar war inzwischen schlohweiß, und die Falten hatten sich tiefer in sein Gesicht gegraben, doch ansonsten hatte er sich kein bisschen verändert.
    Hoss sagte: «Verdammt schade, dich unter diesen Um‐
    ständen wieder zu sehen, Slick.» Dann sah er Sara an,
    tippte sich an die Mütze und sagte: «Ma'am.»
    Sara machte den Mund auf, doch Jeffrey kam ihr zuvor:
    «Hoss, das ist Sara Linton. Sara, das ist Sheriff Hollister.»
    Hoss schenkte ihr ein Lächeln, was nur alle Jubeljahre
    vorkam. «Hab gehört, Sie haben Robert versorgt. Danke,
    dass Sie sich um den Jungen gekümmert haben.»
    Sara nickte, und Jeffrey sah ihr an, dass sie nur auf den rechten Moment wartete, das Wort zu ergreifen. Sie war
    immer noch so wütend, dass sie am ganzen Körper bebte.
    Hoss sagte: «Wir können Ihre Aussage morgen aufneh‐
    men. Sie hatten sicher eine anstrengende Nacht.»
    Jeffrey hielt die Luft an, er wartete darauf, dass Sara explodierte.
    Wieder überraschte sie ihn. «Schön, also morgen.»

    159
    Ohne ihm in die Augen zu sehen, fragte sie dann: «Glaubst
    du, es ist Nell recht, wenn ich heute Nacht bei ihr auf der Couch schlafe?»
    Jeffrey sah zu Boden und seufzte erleichtert. «Klar.»
    Hoss zitierte einen seiner Hilfssheriffs herbei. «Warum
    fahrst du die Lady nicht zu Possum ruber?»
    Jeffrey kannte den Deputy noch von der Kirche –
    aus Zeiten, als May Tolliver sonntags nüchtern blieb, um
    ihrem Sohn ein bisschen Religion einzutrichtern. Er sagte:
    «Danke, Paul.»
    Paul tippte sich an die Mütze und bedachte Jeffrey mit
    einem misstrauischen Blick – dem gleichen misstrauischen
    Blick, den Jeffrey geerntet hatte, seit er laufen konnte. Und
    schlimmer noch, auch Sara sah ihn jetzt so an, als sie ohne
    ein weiteres Wort das Haus verließ.
    Hoss sah ihr hinterher, sein Blick sprach Bände. Selbst in einer alten gestreiften Pyjamahose war Sara eine attraktive Frau. «Alle Achtung.»
    Jeffrey sagte: «Sie ist durcheinander.» Er wusste genau,
    wie Hoss seine Bemerkung auffassen würde.
    «Nicht gerade ein Anblick für eine Frau», stimmte er
    zu. «Ist Jessie in Ordnung?»
    «Sie liegt auf der Couch», sagte Jeffrey. «Sie schläft.»

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