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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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persönlicher Punchingball.
    Jeffrey auch, wenn er daheim war. Was selten vorkam.
    Meistens war er draußen im Steinbruch, weil er es nicht
    ausgehalten hat. Da draußen hat er sich dann hingesetzt
    und bis Sonnenuntergang gelesen. Manchmal hat er so‐
    gar da übernachtet, außer wenn Hoss ihn gefunden hat.
    Der hat ihn dann mit aufs Revier genommen.» Sie trank
    einen Schluck Saft. «Na ja, dieses eine Mal, als ich da war, sind sie aufeinander losgegangen, und Jeffrey wollte
    dazwischengehen. Jimmy hat ihm dermaßen eins über‐
    gebraten, dass Jeffrey durch die Luft geflogen ist, und das
    mein ich buchstäblich, quer durch die Küche. Da hat er
    sich dann am Herd den Rücken aufgeschlitzt. Damals
    gab es noch diese Griffe mit den scharfen Metallkanten,
    nicht wie heute, wo alles mit Drehknöpfen und Schaltern
    geht.»
    Nach einer Weile sagte Sara: «Das habe ich nicht ge‐
    wusst.» Sie versuchte sich vorzustellen, wie es für Jeffrey war, in einer solchen Umgebung aufzuwachsen, doch es
    gelang ihr nicht. Wie die meisten Kinderärzte hatte sie
    genug misshandelte Kinder in ihrer Praxis gehabt. Nichts

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    machte sie wütender als die Feigheit von Erwachsenen,
    die ihre Frustration an einem Kind ausließen.
    «Jeffrey ist nicht so leicht auf die Palme zu bringen»,
    fuhr Nell fort. «Ich schätze, dass ist ein guter Zug, aber vielleicht auch nicht. Man fragt sich, was er alles in sich reinfrisst. Er hasst Streit. Schon immer. Wusstest du, dass er am Auburn College ein Stipendium hatte?»
    «Jeffrey?», fragte Sara verblüfft.
    «Zum Teil wegen seinem Football, aber sie geben einem
    kein dickes Stipendium, um die Ersatzbank zu drücken.»
    Plötzlich lachte sie laut auf, als könnte sie nicht glauben, was sie da gesagt hatte. «Erzähl das bloß nicht Possum,
    aber es ist die reine Wahrheit. Kaum war Jeffrey in Au‐
    burn, hat er Football gehasst. Er wäre aus dem Team ausgetreten, wenn Hoss ihn gelassen hätte.»
    «Und was hatte Hoss damit zu tun?»
    Nell legte die Gabel nieder. «Weißt du, warum Jeffrey
    Slick heißt?»
    «Ich kann es mir denken.»
    Nell lachte schnaubend. «Ja, weil er so gut aussieht.
    Aber in Wirklichkeit hat er den Namen, weil er sich, egal, was er anstellte, aalglatt aus allem herausgewunden hat.»
    «Was hat er denn so angestellt?»
    «Ach, nichts Besonderes im Vergleich zu dem, was die
    Kinder heute so machen. Er hat im Warenhaus geklaut,
    sich Mamas Auto genommen, wenn sie besoffen auf der
    Couch lag. Wahrscheinlich genau das Gleiche, was sein
    Vater in dem Alter auch gemacht hat. Zwischen zehn und
    zwölf. Isst du das noch?» Als Sara den Kopf schüttelte,
    nahm sich Nell das letzte Stück Pfannkuchen von ihrem
    Teller. «Jeffrey wäre wahrscheinlich genau da, wo sein Vater jetzt ist, wenn Hoss sich nicht eingemischt hätte.»

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    «Und wie hat Hoss sich eingemischt?»
    «Hat ihn den Rasen vor dem Gefängnis mähen lassen,
    statt ihn darin einzusperren. Manchmal hat er Jeffrey mit reingenommen, damit er sich mit ein paar von den Härte-fällen unterhält. Das hat ihm eine Heidenangst eingejagt.
    Robert auch, aber der hatte es nicht so nötig. Er war schon
    immer eher der Mitläufer, und wenn man Jeffrey auf den
    rechten Weg brachte, hatte man bei Robert auch gewon‐
    nen.»
    «Hoss sei Dank.»
    «Manchmal komm ich ins Grübeln.» Nell lehnte sich
    mit ihrer Kaffeetasse zurück. «Jeffrey hat ein weiches
    Herz. Aber das hast du wohl auch schon bemerkt.»
    Sara antwortete nicht, doch sie fragte sich, ob Nell ihn wirklich so gut kannte. In sechs Jahren konnte viel passieren. Schon in einer Nacht konnte viel passieren.
    «Früher hab ich immer gedacht, er würde mal Lehrer
    werden, vielleicht Footballtrainer an der Highschool.
    Doch als Jimmy lebenslänglich kriegte, hat Jeffrey sich
    verändert. Vielleicht hat er gedacht, er könnte dadurch,
    dass er zur Polizei ging, die Verbrechen seines Dads wett-machen. Vielleicht wollte er es auch nur Hoss recht ma‐
    chen.»
    «Und, hat er?»
    Nell schob ihren Teller weg. «Na, das kannst du wohl
    glauben.»
    In diesem Moment sah Sara Jeffrey am Küchenfenster
    vorbeigehen. Sie stand auf. «Ich muss mich anziehen.»
    Jeffrey kam durch die Hintertür. Er schien überrascht,
    Sara und Nell beim Frühstück anzutreffen.
    Sara erklärte: «Ich wollte mich gerade fertig machen.»
    Er sah sie kurz an und sagte: «Du siehst gut aus.» Sara 179
    trug immer noch den Pyjama, in dem sie gestern Abend
    aus seinem Elternhaus gerannt war.
    Nell fragte:

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