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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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«Wie geht es Jessie und den anderen?»
    «Den Umständen entsprechend.» Er deutete auf die lee‐
    ren Teller. «Riecht gut.»
    «Ich hab Possum nicht geheiratet, um mich für dich an
    den Herd zu stellen.» Nell stand auf. «Aber es ist noch reichlich Teig da und Rührei ebenfalls. Ich gehe mal nachsehen, ob die blöden Hunde ihr Wasser schon ausgekippt
    haben.»
    Kaum war Nell draußen, war es vorbei mit der Gesprä‐
    chigkeit. Sara setzte sich schweigend an den Tisch – sie wusste nicht, was sie sonst tun sollte. Die Pfannkuchen lagen ihr tonnenschwer im Magen. Ihr Kaffee war inzwischen
    lauwarm, doch sie schaffte es, ihn hinunterzuwürgen.
    Jeffrey kaute auf einem Stück Speck herum und goss
    sich Kaffee ein. Er stellte die Kanne zurück auf die Wärme‐
    platte, doch dann nahm er sie wieder herunter, um Sara
    nachzuschenken. Sie schüttelte den Kopf. Also stellte er
    die Kanne wieder zurück, steckte sich noch ein Stück Speck
    in den Mund und starrte in Richtung Spüle.
    Sara malte mit der Gabel in den Siruppfützen auf ihrem
    Teller und überlegte, was sie sagen könnte. Eigentlich war er an der Reihe. Also legte sie die Gabel hin und verschränkte die Arme. Sie sah Jeffrey erwartungsvoll an.
    Er räusperte sich. Dann fragte er: «Was wirst du heute
    aussagen?»
    «Was willst du hören?», fragte sie zurück. «Oder ver‐
    suchst du wieder, mich einzuschüchtern?»
    «Ich hätte das nicht tun dürfen.»
    «Nein, hättest du nicht», sagte sie. Plötzlich war wieder die Wut von gestern da. «Ich sage dir eins: Nach deiner 180
    Drohung und dem, was deine Mutter zu mir gesagt hat,
    sollte ich jetzt einfach aufstehen und gehen.»
    Er blickte zu Boden, und sie spürte, dass er sich schämte.
    Seine Stimme versagte, und er musste sich noch einmal
    räuspern, bevor er herausbrachte: «Ich habe in meinem
    ganzen Leben noch keine Frau geschlagen.»
    Sara wartete.
    «Eher würde ich mir die Hand abhacken.» Mit mah‐
    lenden Kiefern rang er um Fassung. «Ich habe jeden Tag
    meiner Kindheit zusehen müssen, wie mein Dad meine
    Mutter verprügelt hat. Manchmal hat sie ihn provoziert,
    manchmal hat er es nur getan, weil er es so wollte.» Er sah
    Sara immer noch nicht in die Augen. «Ich weiß, du hast
    keinen Grund, mir zu glauben, aber ich würde dir niemals wehtun.» Als Sara nicht antwortete, fragte er: «Was hat
    meine Mutter zu dir gesagt?»
    Sara konnte die Worte nicht wiederholen. «Es spielt
    keine Rolle.»
    «Doch, es spielt eine Rolle», widersprach er. «Es tut mir Leid. Es tut mir Leid, dass ich dich überhaupt hierher gebracht habe, an diesen ... diesen Ort.» Jetzt blickte er sie an, seine Augen waren rot. «Ich wollte nur, dass du siehst ...» Er brach ab. «Verdammt, ich weiß nicht, was ich wollte. Dass du siehst, wer ich wirklich bin. Vielleicht ist es
    das, was du jetzt zu sehen bekommst. Vielleicht bin ich in Wirklichkeit so.»
    Er tat ihr Leid, doch dann kam sie sich deswegen albern vor.
    Er nahm den Stuhl, auf dem Nell gesessen hatte, rückte
    ihn vom Tisch ab und setzte sich. «Bobby wollte heute
    Morgen nicht mit mir reden.»
    Sara wartete.

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    «Als ich reinkam, war er schon angezogen und wollte
    nach Hause.» Jeffrey hielt inne. Sie konnte seine Hilflosigkeit spüren. «Ich hab ihm gesagt, dass wir reden müssen, aber er hat einfach nein gesagt. Einfach so. ‹Nein›, als ob er
    was zu verbergen hätte.»
    «Vielleicht stimmt es.»
    Er trommelte mit den Fingern auf den Tisch.
    «War Jessie bei ihm?»
    «Nein. Sie war noch nicht mal wach, als ich bei ihren Eltern vorbeigefahren bin.»
    Sara biss sich auf die Lippe. Sie wusste nicht, ob sie ihm von ihrer Entdeckung erzählen sollte oder nicht.
    «Komm schon», bat er. «Sag mir, was ich übersehen
    habe.» Frustriert schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch. «Gott, ich mache das doch nicht mit Absicht, Sara.
    Egal, wie viele Jahre vergangen sind, er ist immer noch
    mein bester Freund. Es ist nicht leicht, in so einem Moment ein guter Cop zu sein.»
    Sara atmete tief ein. Der Schlag auf den Tisch hatte sie erschreckt, am liebsten wäre sie wirklich aufgestanden und
    gegangen. Nur weil er aus einer gewalttätigen Familie
    kam, hieß das zwar noch lange nicht, dass auch er zu Gewalt neigte, aber sie wurde das Bild von gestern Nacht
    nicht los. Seine breiten Schultern und sein muskulöser
    Körper, den sie immer so attraktiv gefunden hatte, hatten plötzlich etwas Bedrohliches bekommen.
    Anscheinend spürte er ihre Reaktion, denn seine

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