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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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sitzen, und Sara spürte, wie die Albträume der letz‐
    ten Nacht verblassten.
    «Der blöde Nachbar», sagte Nell und winkte freundlich,
    als ein Mann am Fenster vorbeiging. Eine Autotür wurde
    zugeschlagen, dann ging der Motor an. «Jedes Wochen‐
    ende verbringt er mit so einem Flittchen, das er in Birmingham aufgegabelt hat. Jetzt schau dir das an», sie sah nach, ob Sara auch aufpasste. «Kaum dass er weg ist, fangen die Hunde wie wild zu bellen an und hören nicht auf, bis er abends um zehn heimkommt.» Sie stellte sich auf die
    Zehenspitzen und verrenkte sich den Hals, um in den
    Nachbargarten zu sehen. «Ich hab ihm schon tausendmal
    gesagt, dass die armen Viecher eine Hütte brauchen. Pos‐
    sum wollte ihm sogar eine bauen. Gott, wie die Armen im Regen jaulen.»
    Wie aufs Stichwort begannen die Hunde zu bellen. Um
    guten Willen zu zeigen, fragte Sara: «Sie haben keine
    Hundehütte?»
    Nell schüttelte den Kopf. «Nein. Früher musste er im‐
    mer heimkommen, wenn sie mal wieder über den Zaun
    gesprungen waren. Dann hat er sie einfach angekettet. Ich
    kann die Uhr danach stellen, wann sie ihren Wassernapf
    umwerfen, und jeden Morgen muss ich rüber und ihnen
    frisches Wasser geben.» Sie reichte Sara einen Eierkarton
    und eine Schüssel. «Hier, mach dich nützlich.» Dann fuhr
    sie fort: «Und dabei sind Boxer so hässlich. Nicht mal auf die süße Art. Und wie sie einen voll sabbern. Ich komm
    jedes Mal zurück wie aus der Dusche.»
    Sara schlug die Eier in die Schüssel. Sie hörte nicht
    mehr zu, sondern ließ sich von Nells Geplapper einlullen.
    Sie dachte an Jeffrey und versuchte Logik in die Vorfälle der letzten Nacht zu bringen. Sara wusste, dass es ihre

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    größte Schwäche, aber auch ihre größte Stärke war, die
    Dinge schwarz oder weiß zu sehen. Doch jetzt sah sie zum
    ersten Mal in ihrem Leben nur ein graues Gemisch. Ges‐
    tern Nacht war sie müde und durcheinander gewesen.
    Hatte sie die Schmauchspur wirklich gesehen? Je mehr sie
    darüber nachdachte, desto mehr kam sie zu der Überzeu‐
    gung, dass sie es sich eingebildet haben musste. Nur ihr Bauchgefühl blieb bei dem ersten Eindruck. Und warum
    hatte Robert nicht gewollt, dass sie sich die Wunde ansah,
    wenn er nichts zu verbergen hatte?
    «Sara?», fragte Nell. Anscheinend hatte sie etwas ge‐
    fragt.
    «Entschuldige», sagte Sara. «Wie bitte?»
    «Ich hab gefragt, ob Robert den Typ kannte.»
    Sara schüttelte den Kopf. «Ich glaube nicht, sonst hatte
    er was gesagt.»
    «Es ist noch nichts in der Zeitung. Wir haben hier nur
    'ne Wochenzeitung, und die erscheint erst am Sonntag.
    Aber heute Morgen hab ich auf der Straße gehört, dass es
    Luke Swan ist. Der Name wird dir nichts sagen, aber er
    war bei uns auf der Schule. Hat ein paar Häuser weiter
    gewohnt.» Sie zeigte in Richtung Garten. «Possum ist in
    diesem Haus zur Welt gekommen, und ich bin gegenüber
    aufgewachsen – hab ich dir das erzählt?» Sara schüttelte
    den Kopf. «Wir sind nach dem Tod seiner Mutter hier eingezogen. Ich konnte die Frau nicht ausstehen» – sie klopfte
    dreimal auf den Schrank unter der Spüle –, «aber es war nett von ihr, dass sie uns das Haus vermacht hat. Ich
    dachte, Possums Bruder würde einen Aufstand machen,
    aber am Ende ist alles gut gegangen.» Sie holte Luft. «Was
    wollte ich gerade sagen?»
    «Luke.»

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    «Ach ja.» Sie drehte sich wieder zum Herd. «Er hat um
    die Ecke gewohnt, bis sein Vater arbeitslos wurde, dann
    sind sie in die Nähe der Schule gezogen. Er war bei uns nicht gerade beliebt.»
    Sara ahnte, dass sie mit «bei uns» die Schönen und die
    Sportskanonen der Highschool meinte. Auf Saras Schule
    hatte es die gleichen Cliquen gegeben. Sara hatte zwar nicht
    dazugehört, aber zumindest hatte man sie respektiert.
    Nell fuhr fort. «Man sagt, er hatte ordentlich was auf
    dem Kerbholz, aber was heißt das schon? Die Leute be‐
    haupten alles Mögliche, wenn einer stirbt. Du müsstest
    mal Possum hören, wenn er über seine Mutter redet – als war sie Mary Poppins gewesen, dabei ist die Frau ihr Leben
    lang keinen Tag fröhlich gewesen. Irgendwie war sie genau
    wie Jessie.» Nell goss Teig für vier kleine Pfannkuchen auf die Pfannkuchenplatte. «Ich hab gehört, dass Jessie bei ihrer Mama ist.»
    «Ja», bestätigte Sara.
    «Liebe Zeit», murmelte Nell und nahm Sara die Schüs‐
    sel mit den Eiern ab. Sie verrührte sie mit einer Gabel, dann kippte sie sie in eine Pfanne. Auch wenn Sara an
    einer der

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