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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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Drinnen war die
    Luft fast kalt, und sie legte die Hand auf die felsige Decke,
    um sich zu orientieren. Selbst in der Hocke stieß sie mit dem Kopf an. Sie machte sich noch kleiner und streckte
    die Hand aus, um ihre Umgebung zu ertasten, während
    Jeffrey sie tiefer in die Höhle zog. Rechts und links war nur Finsternis, doch plötzlich stieg die Decke über ihnen an, und sie konnte sich ein wenig aufrichten. Nur den Kopf
    musste sie noch einziehen.
    Das Prasseln des Regens war jetzt nur noch gedämpft
    zu hören. Durch das Gestrüpp und die Bretter am Eingang
    fiel gerade so viel Licht, dass sie nicht vollkommen im
    Dunkeln standen, doch das machte es nicht besser. Selbst
    als sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnten, konnte
    sie das Ende der Höhle nicht sehen.
    «Alles in Ordnung?», fragte Jeffrey.

    218
    «Geht schon.» Sara schauderte, nicht nur wegen der
    Kälte. Sie stützte sich an der Decke ab und kämpfte gegen
    die Klaustrophobie.
    «Mein Gott, stinkt es hier.» Er drängte sich an ihr vorbei und machte sich am Eingang zu schaffen. Dann trat er die Bretter weg, um mehr Licht hereinzulassen, doch es blieb
    unangenehm finster.
    Sara blinzelte und machte schließlich eine Sitzbank aus,
    die aus einem Auto zu stammen schien. Polster und Fe‐
    dern bohrten sich durch den Kunststoffbezug. Davor stand
    ein alter Sofatisch, dessen Kanten mit Hanfseil umwickelt
    waren. An den Stellen, wo Leute ihre Füße aufgestützt
    hatten, war es abgewetzt. Jeffrey zupfte etwas aus seinem
    Haar und ging zu der Bank hinüber. Er tastete darunter
    herum, und dann hörte sie ihn durch das gleichmäßige
    Rauschen des Regens lachen.
    «Alles noch da», sagte er zufrieden.
    Sie kam näher, die Dunkelheit beunruhigte sie. Die Luft
    roch faulig. Sie fragte sich, ob es hier Tiere gab und ob eines
    vielleicht gerade auf dem Heimweg war und wie sie Schutz
    vor dem Sturm suchte.
    Jeffrey riss ein Streichholz an, und für einen kurzen
    Moment wurde die Höhle in flackerndes Licht getaucht,
    bevor das Streichholz zuckend wieder erlosch. Auch Jef‐
    frey stand mit eingezogenem Kopf da. Doch anders als Sara
    schien er sich hier zu Hause zu fühlen. Es war ihr peinlich, ein solcher Angsthase zu sein. Sara hatte sich nie vor dem Dunkeln gefürchtet, doch dieser enge Raum hatte etwas an
    sich, das sie beunruhigte.
    Er riss das nächste Streichholz an. Wieder brannte es
    schnell ab und ließ sie in der Finsternis der Höhle zurück.
    «Wahrscheinlich nass geworden.»

    219
    Bevor sie sich zurückhalten konnte, sagte Sara: «Mir
    gefällt es hier nicht.»
    «Das Gewitter ist bald vorbei», beruhigte er sie. Er nahm sie beim Arm und führte sie zu der Bank. «Mach dir keine Sorgen. Wir waren früher nach der Schule immer hier.»
    «Warum?» Sie konnte sich nicht vorstellen, dass je‐
    mand freiwillig hierher kam, um sich wie bei lebendigem
    Leib begraben zu fühlen. Selbst im Sitzen spürte sie die drückende Decke. Sie griff nach Jeffreys Hand.
    «Mach dir keine Sorgen», sagte er noch einmal. Endlich
    schien er zu merken, dass sie Angst hatte. Er legte den Arm um sie und küsste sie auf die Schläfe.
    Sara lehnte sich an ihn. «Wie habt ihr die Höhle ge‐
    funden?»
    «Wir sind hier in der Nähe des Steinbruchs», erklärte er.
    «Robert hat die Höhle irgendwann entdeckt, als wir auf
    der Suche nach Pfeilspitzen waren.»
    «Pfeilspitzen?»
    «Wir sind auf Indianergebiet. Zuerst waren die Creeks
    hier, dann die Krieger der Shawnee. Sie nannten den Ort
    Chalakagay. In DeSotos Bericht taucht er schon im frühen
    sechzehnten Jahrhundert auf.» Er hielt inne. «Aber um
    1836 hat die Regierung sie natürlich alle nach Westen
    vertrieben.» Er hielt wieder inne. «Sara, ich will gar keine Kinder.»
    Das Prasseln des Regens rauschte in der Ferne, es klang, als fegten tausend Besen über den Fels.
    «Ich hatte als Kind nicht die besten Vorbilder, und wer
    weiß, was meine Gene noch ausbrüten, wenn ich sie wei‐
    tergebe. »
    Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. «Erzähl mir
    lieber von den Indianern.»

    220
    Er küsste ihren Finger, dann fragte er: «Warum?
    Brauchst du eine Gutenachtgeschichte?»
    Sara lachte. Solange er redete, konnte sie es ewig hier
    aushalten. «Erzähl mir irgendwas», bat sie.
    Er überlegte einen Moment. «Du kannst es nicht sehen,
    aber hier drinnen gibt es auch Marmor. Nicht so viel, dass sich die Leute vom Steinbruch dafür interessieren würden,
    aber dahinten an der Wand sieht man deutlich die

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