Schattenblume
denselben schrottreifen 68er
Chevy‐Truck, den er schon in der Highschool gehabt
hatte. Die Gänge waren launisch und ächzten jedes Mal,
wenn Jeffrey zu schalten versuchte. Es gab irgendeinen
Trick, wie man die Karre überlistete, aber Jeffrey hatte ihn
vergessen. An jedem Stoppschild ruckelte der Wagen wie
bei einem Sechzehnjährigen, der gerade fahren lernte; je‐
des Mal wenn Jeffrey den ersten Gang einlegen wollte,
würgte er den Motor ab.
Als er Herd's Gap hinter sich ließ, wusste er nicht wo‐
hin. Sara war wahrscheinlich noch im Bestattungsinstitut
mit dem Skelett beschäftigt. Hoss war auf dem Revier und
sperrte Robert ein. Jeffrey hätte nach Hause fahren kön‐
nen, doch über Mittag war seine Mutter meistens da, und
das Letzte, was er jetzt brauchte, war der Anblick, wie sie sich mit billigem Wodka stärkte, bevor sie zur zweiten
Schicht im Krankenhaus antrat. Eine Alkoholikerin am
Tag war genug.
Jeffrey war auf dem Weg zu Nell, die wahrscheinlich
schon von Roberts Verhaftung wusste, als ihm Possum
einfiel. So war es immer gewesen: An Possum dachten sie
immer als Letztes. Anders als Robert, der mit Jeffrey in der
Footballmannschaft war und seinen eigenen Fanclub hatte,
war Possum das fünfte Rad am Wagen, ein Puffer, der
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von seinen zwei konkurrierenden Freunden mitgeschleppt
wurde. Possum lachte über ihre Witze und notierte den
Punktestand zwischen ihnen. Nicht dass er dabei immer
vollkommen selbstlos gewesen wäre. Manchmal hatte er
Glück und konnte sich den einen oder anderen Krumen
schnappen, den Jeffrey oder Robert fallen ließen.
Auch Nell war eine von Jeffreys Verflossenen. Damals
war Jeffrey froh gewesen, sie loszuwerden. Schon als Teen‐
ager hatte Nell genau gewusst, wo es langging, und mit ih‐
rer Meinung nicht hinter dem Berg gehalten. Dass es dabei
meistens um Jeffreys Fehler ging, war das Hauptproblem
ihrer Beziehung. Ihre unverblümte Art, ihn zu kritisieren, konnte ziemlich ekelhaft sein. Wäre sie nicht eins der wenigen anständigen Mädchen der Schule gewesen, die einen
ranließen, hätte er sie nach dem ersten Date abserviert.
Jeffrey liebte Herausforderungen, doch bei Nell war er
an seine Grenzen gestoßen. Am Ende musste er zugeben,
dass Possum besser zu ihr passte – ihm machte es nichts aus, bevormundet zu werden, und er konnte mit Kritik
umgehen. Und doch war Jeffrey überrascht gewesen, als
sie nur einen Monat nachdem er nach Auburn gegangen
war, geheiratet hatte. Er hatte sich gefragt, ob da schon et‐
was hinter seinem Rücken gelaufen war. Doch neun Mo‐
nate später verstand er, was los war. Irgendwie lag ihm die
Sache heute noch im Magen, doch der Gerechtigkeit halber
musste er zugeben, dass er es war, der die Beziehung mit Nell auf Eis gelegt hatte, als er wegzog. Allerdings hatte er gedacht, sie würde ihm ein bisschen hinterhertrauern
und nicht gleich mit seinem zweitbesten Freund ins Bett
springen.
Jeffrey zwang den Truck in den zweiten Gang und bog
auf den Parkplatz vor Possums Laden ein. Es war im‐
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mer noch die gleiche heruntergekommene Kaschemme
mit verschlissenen Flaggen der Auburn University zu bei‐
den Seiten der Tür. Im Schaufenster warben Schilder für
kaltes Bier und Köderfisch, die beiden wichtigsten Waren,
die ein Laden auf dem Land führen musste.
Die Türglocke klingelte laut, als Jeffrey eintrat. Die
Holzdielen unter seinen Füßen quietschten, wahrschein‐
lich stammten sie noch aus der Zeit der Wirtschaftskrise.
In den Ritzen sammelte sich der Staub von sechzig Jahren.
Jeffrey ging ohne zu zögern hinter den Tresen und
nahm sich ein Sixpack Budweiser aus dem Kühlschrank.
Dann holte er noch ein zweites Sixpack aus dem Regal.
«Hallo?», rief Jeffrey und stellte das Bier auf den Tre‐
sen. Die Registrierkasse war ein altes Modell, das kin‐
derleicht aufzubrechen war, daneben stand ein Wechsel‐
geldautomat mit mindestens hundert Dollar Kleingeld.
Typisch Possum, dass er sich auf die Ehrlichkeit der Leute verließ.
«Possum», rief Jeffrey und nahm sich ein Bier aus der
Packung. Ein Coca‐Cola‐Öffner lag auf dem Tresen. Das
Bier war bitter. Jeffrey stürzte es runter und versuchte
seine Geschmacksknospen zu umgehen. Dann sah er sich
die Fotos an, die Possum am Zigarettenregal aufgehängt
hatte. Wie bei Robert stammten eine Menge der Fotos
noch aus Highschool‐Tagen. Doch anders als bei Robert
gab es hier außerdem eine Menge Fotos von Kindern
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