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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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denselben schrottreifen 68er
    Chevy‐Truck, den er schon in der Highschool gehabt
    hatte. Die Gänge waren launisch und ächzten jedes Mal,
    wenn Jeffrey zu schalten versuchte. Es gab irgendeinen
    Trick, wie man die Karre überlistete, aber Jeffrey hatte ihn
    vergessen. An jedem Stoppschild ruckelte der Wagen wie
    bei einem Sechzehnjährigen, der gerade fahren lernte; je‐
    des Mal wenn Jeffrey den ersten Gang einlegen wollte,
    würgte er den Motor ab.
    Als er Herd's Gap hinter sich ließ, wusste er nicht wo‐
    hin. Sara war wahrscheinlich noch im Bestattungsinstitut
    mit dem Skelett beschäftigt. Hoss war auf dem Revier und
    sperrte Robert ein. Jeffrey hätte nach Hause fahren kön‐
    nen, doch über Mittag war seine Mutter meistens da, und
    das Letzte, was er jetzt brauchte, war der Anblick, wie sie sich mit billigem Wodka stärkte, bevor sie zur zweiten
    Schicht im Krankenhaus antrat. Eine Alkoholikerin am
    Tag war genug.
    Jeffrey war auf dem Weg zu Nell, die wahrscheinlich
    schon von Roberts Verhaftung wusste, als ihm Possum
    einfiel. So war es immer gewesen: An Possum dachten sie
    immer als Letztes. Anders als Robert, der mit Jeffrey in der
    Footballmannschaft war und seinen eigenen Fanclub hatte,
    war Possum das fünfte Rad am Wagen, ein Puffer, der

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    von seinen zwei konkurrierenden Freunden mitgeschleppt
    wurde. Possum lachte über ihre Witze und notierte den
    Punktestand zwischen ihnen. Nicht dass er dabei immer
    vollkommen selbstlos gewesen wäre. Manchmal hatte er
    Glück und konnte sich den einen oder anderen Krumen
    schnappen, den Jeffrey oder Robert fallen ließen.
    Auch Nell war eine von Jeffreys Verflossenen. Damals
    war Jeffrey froh gewesen, sie loszuwerden. Schon als Teen‐
    ager hatte Nell genau gewusst, wo es langging, und mit ih‐
    rer Meinung nicht hinter dem Berg gehalten. Dass es dabei
    meistens um Jeffreys Fehler ging, war das Hauptproblem
    ihrer Beziehung. Ihre unverblümte Art, ihn zu kritisieren, konnte ziemlich ekelhaft sein. Wäre sie nicht eins der wenigen anständigen Mädchen der Schule gewesen, die einen
    ranließen, hätte er sie nach dem ersten Date abserviert.
    Jeffrey liebte Herausforderungen, doch bei Nell war er
    an seine Grenzen gestoßen. Am Ende musste er zugeben,
    dass Possum besser zu ihr passte – ihm machte es nichts aus, bevormundet zu werden, und er konnte mit Kritik
    umgehen. Und doch war Jeffrey überrascht gewesen, als
    sie nur einen Monat nachdem er nach Auburn gegangen
    war, geheiratet hatte. Er hatte sich gefragt, ob da schon et‐
    was hinter seinem Rücken gelaufen war. Doch neun Mo‐
    nate später verstand er, was los war. Irgendwie lag ihm die
    Sache heute noch im Magen, doch der Gerechtigkeit halber
    musste er zugeben, dass er es war, der die Beziehung mit Nell auf Eis gelegt hatte, als er wegzog. Allerdings hatte er gedacht, sie würde ihm ein bisschen hinterhertrauern
    und nicht gleich mit seinem zweitbesten Freund ins Bett
    springen.
    Jeffrey zwang den Truck in den zweiten Gang und bog
    auf den Parkplatz vor Possums Laden ein. Es war im‐

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    mer noch die gleiche heruntergekommene Kaschemme
    mit verschlissenen Flaggen der Auburn University zu bei‐
    den Seiten der Tür. Im Schaufenster warben Schilder für
    kaltes Bier und Köderfisch, die beiden wichtigsten Waren,
    die ein Laden auf dem Land führen musste.
    Die Türglocke klingelte laut, als Jeffrey eintrat. Die
    Holzdielen unter seinen Füßen quietschten, wahrschein‐
    lich stammten sie noch aus der Zeit der Wirtschaftskrise.
    In den Ritzen sammelte sich der Staub von sechzig Jahren.
    Jeffrey ging ohne zu zögern hinter den Tresen und
    nahm sich ein Sixpack Budweiser aus dem Kühlschrank.
    Dann holte er noch ein zweites Sixpack aus dem Regal.
    «Hallo?», rief Jeffrey und stellte das Bier auf den Tre‐
    sen. Die Registrierkasse war ein altes Modell, das kin‐
    derleicht aufzubrechen war, daneben stand ein Wechsel‐
    geldautomat mit mindestens hundert Dollar Kleingeld.
    Typisch Possum, dass er sich auf die Ehrlichkeit der Leute verließ.
    «Possum», rief Jeffrey und nahm sich ein Bier aus der
    Packung. Ein Coca‐Cola‐Öffner lag auf dem Tresen. Das
    Bier war bitter. Jeffrey stürzte es runter und versuchte
    seine Geschmacksknospen zu umgehen. Dann sah er sich
    die Fotos an, die Possum am Zigarettenregal aufgehängt
    hatte. Wie bei Robert stammten eine Menge der Fotos
    noch aus Highschool‐Tagen. Doch anders als bei Robert
    gab es hier außerdem eine Menge Fotos von Kindern

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