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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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trank
    noch einen Schluck Bier, dann noch einen. «Gott, du hast dich kein bisschen verändert.»
    «Jetzt hör aber auf.»
    «Possum», sagte Jeffrey. «So bist du, Kopf in den Sand
    stecken und so tun, als wenn nichts war.» Er trank das Bier
    aus und wartete, dass der Alkohol endlich seinen Kummer
    betäubte. «Er sagt, er hat auch Julia umgebracht.»
    Possum stützte sich auf den Tresen. Er riss die Augen
    auf. «Das ist doch bloß verrücktes Gerede.»
    «Ja, verrückt ist es. Die ganze verdammte Stadt ist ver‐
    rückt.»
    «Glaubst du ihm?»
    Die Frage überraschte Jeffrey, vor allem, weil Possum
    sonst nie etwas in Zweifel zog. «Nein», sagte er. «Ver‐
    dammt, ich weiß es nicht.»

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    «Scheiße», sagte Possum.
    Jeffrey griff nach dem nächsten Bier, doch Possum hielt
    seine Hand fest und sagte: «Mach mal halblang.»
    «Ich hab schon eine Mama.»
    «Und die ist ein verdammt guter Grund, dass du halb‐
    lang machst.»
    Jeffrey verlor die Beherrschung. Er holte aus und schlug
    Possum ins Gesicht. Possum war zu weit entfernt, doch
    der Schlag hatte noch genug Wucht, dass er rückwärts tau‐
    melte und gegen den Tresor fiel.
    «Au!», rief Possum. Er betastete seinen Mund und sah
    das Blut auf seinen Fingern. «Jesus, Slick, du hast mir fast einen Zahn ausgeschlagen.»
    Jeffrey hob wieder die Faust, doch der Ausdruck in Pos‐
    sums Augen hielt ihn zurück. Possum würde sich nicht
    wehren. Er wehrte sich nie. Er wurde nie wütend, und er stellte nie in Frage, was Jeffrey tat.
    Jeffrey griff in die Tasche und zog ein paar Zehner für das Bier heraus.
    «Nein», sagte Possum und schob das Geld zurück, wäh‐
    rend ihm das Blut übers Kinn rann. «Vergiss es.»
    «Ich zahle für mein Bier», versetzte Jeffrey und warf das Geld auf den Tresen. Dann nahm er die restlichen Flaschen
    und das zweite Sixpack.
    «Hör zu, Slick, ich kann dich fahren –»
    «Leck mich am Arsch», sagte Jeffrey und stieß Possum
    weg.
    Doch Possum lief ihm bis zur Tür nach. «In deinem Zu‐
    stand solltest du nicht fahren.»
    «In welchem Zustand?», rief Jeffrey und riss die Bei‐
    fahrertür von Roberts Truck auf. Er stellte das Bier auf den
    Sitz, dann lief er um die Motorhaube herum. Er stolperte 268
    über ein Schlagloch und hielt sich an der Kühlerhaube
    fest.
    Possum flehte: «Jeffrey, lass es sein.»
    Als Jeffrey hinter das Lenkrad kletterte, verschwamm
    alles vor seinen Augen, als stünde die ganze Welt auf dem
    Kopf. Er drehte den Zündschlüssel, und der Truck begann
    tröstlich zu schnurren. Als Jeffrey vom Parkplatz bret‐
    terte, riss er im letzten Moment das Lenkrad herum, um
    nicht die Zapfsäulen umzumähen.

    269

KAPITEL SECHZEHN

    14.50 Uhr

    olly stieg auf den Beifahrersitz des Krankenwagens
    und
    M musterte Lena von oben bis unten. «Ein enge‐
    res Hemd gab's wohl nicht?»
    «Ich kann es nicht ändern.» Sie wusste, dass Molly
    die Situation nur auflockern wollte, aber Lena schaffte es nicht mitzuspielen. Sie hatte feuchte Hände, und ihre Nerven, sonst stark wie Drahtseile, lagen blank. Wenn Lena
    erst einmal im Gebäude drin war, würde sie wieder funk‐
    tionieren. Sie konnte mit ihren Ängsten umgehen, sobald
    sie sich ihnen stellte. Wenn die Show losging, würde sie ihren Mann stehen. Doch bis es so weit war, hatte sie Lam-penfieber.
    Molly holte tief Luft. Als sie wieder ausatmete, sackte
    sie in sich zusammen wie ein Luftballon. Dann nahm sie
    das Stethoskop, das sie um den Hals trug, in beide Hände.
    «Also gut. Ich bin bereit.»
    Lena versuchte, den Schlüssel ins Zündschloss zu ste‐
    cken, doch ihre Hand zitterte zu stark. Nach mehreren
    Versuchen kam ihr Molly zu Hilfe. «Da.»
    «Das kommt von den Narben», sagte Lena, als der Wa‐
    gen ansprang. «Nervenschaden.»

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    «Haben Sie öfter Probleme damit?»
    Lena gab Gas und spürte das Vibrieren des Motors
    unter ihrem Fuß. «Nein», sagte sie. «Manchmal.»
    «Haben Sie Krankengymnastik gemacht?»
    Lena verstand zwar nicht, was diese alberne Unterhal‐
    tung sollte, doch das Gequatsche war irgendwie beruhi‐
    gend. «Ungefähr drei Monate», erklärte sie. «Paraffinbä‐
    der, Tennisball kneten, Stifte in Löcher stecken.»
    «Geschicklichkeitstraining.»
    Molly
    starrte
    auf
    die
    Straße.
    «Ja», sagte Lena. Vom Grant County Medical Center
    zum Polizeirevier waren es keine dreihundert Meter, doch
    je näher sie kamen, desto weiter schien es in die Ferne zu rücken. Lena hatte das Gefühl, dass sie durch einen

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