Schattenblume
völlig egal. Wahrscheinlich ist er dumm wie Brot, und es ist mir scheißegal. Ich will ihn schließlich nicht wegen seines Gehirns.»
Tessa sagte: «Verdammt nochmal, Sara. Halt den Mund und dreh dich um.»
Als sich Sara umdrehte, wurde ihr heiß.
Jeffrey lehnte in der Tür, die Arme über der Brust verschränkt. Ein schiefes Lächeln umspielte seine Lippen, doch in seinen Augen lächelte nichts. Er nickte in Richtung des Koffers. «Abfahrbereit?»
Es begann zu nieseln, als sie Grant County verließen. Sara sah zu, wie die Scheibenwischer in regelmäßigen Abständendas Wasser zur Seite schoben, und überlegte, was sie sagen sollte. Mit jedem Scheibenwischen nahm sie sich vor, das Schweigen zu brechen, doch im nächsten Moment pflügten die Wischblätter schon wieder über die Scheibe und sie hatte immer noch kein Wort herausgebracht. Sie starrte aus dem Fenster, zählte Kühe, dann Ziegen, dann Reklameschilder. Je näher sie nach Macon kamen, desto höher wurden die Zahlen, und als sie die Ausfahrt erreichten, war Sara schon im dreistelligen Bereich.
Jeffrey schaltete herunter und überholte einen Sattelschlepper. Auch er hatte seit Grant County kein Wort gesprochen, und jetzt brach er das Eis mit den Worten: «Dein Wagen fährt gut.»
«Ja», stimmte Sara zu. Sie war so erleichtert, dass er etwas sagte, sie hätte heulen können. Gott sei Dank hatten sie ihren Wagen genommen und nicht seinen Truck, wer weiß, wie lange sie noch geschwiegen hätten. Um das Gespräch am Laufen zu halten, bemerkte sie: «Deutsche Wertarbeit.»
«Stimmt anscheinend, dass alle Ärzte BMW fahren.»
«Mein Dad hat ihn mir zum Studium geschenkt.»
«Netter Dad», sagte er, und dann fügte er hinzu: «Deine Mum scheint auch sehr nett zu sein.»
Sara räusperte sich, die Entschuldigungen, die sie sich während der letzten Stunde zurechtgelegt hatte, fielen ihr plötzlich nicht mehr ein. «Mir wäre es lieber gewesen, du hättest sie unter anderen Umständen kennen gelernt.»
«Ich hatte nicht damit gerechnet, sie überhaupt kennen zu lernen.»
«Natürlich», nuschelte sie nervös. «Das habe ich nicht gemeint –»
«Aber ich freue mich, dass ich sie kennen gelernt habe.»
Sara nickte und dachte, wenn sie den Mund hielte, würde sie nicht so oft ins Fettnäpfchen treten können.
«Deine Schwester ist süß.»
«Ja», gab sie zu. So war es schon immer gewesen: Tessa war die Süße, die Lustige, der Cheerleader, die, mit der jeder befreundet sein wollte. Sara dagegen war die Große. An guten Tagen war sie die große Rothaarige.
Statt weiter nach einer eleganteren Formulierung zu suchen, platzte sie heraus: «Tut mir Leid wegen dem, was ich gesagt habe.»
«Schon okay», sagte er, doch sie hörte ihm an, dass es nicht okay war. Weshalb er immer noch mit ihr nach Florida wollte, war ihr ein Rätsel. Hätte Sara einen Funken Selbstachtung gehabt, hätte sie ihn allein fahren lassen. Das gequälte Lächeln in seinem Gesicht, als er ihren Koffer in den Kofferraum hievte, hätte Milch gerinnen lassen.
«Ich wollte nur …» Sie schüttelte den Kopf. «Ich weiß nicht, was ich wollte. Mich zum Idioten machen?»
«Das ist dir gelungen.»
«Was ich mache, mache ich gründlich.»
Er lächelte nicht.
Sie versuchte es noch einmal. «Ich glaube nicht, dass du dumm bist.»
«Wie Brot.»
«Was?»
«Du hast gesagt, ‹dumm wie Brot›.»
«Oh. Na dann.» Sie lachte, heiser wie ein Seehund. «Brot und dumm – so ein Quatsch.»
«Aber gut zu wissen, dass du es nicht wirklich glaubst.» Er sah in den Rückspiegel und überholte den Kleinbus einer Kirchengemeinde. Sara betrachtete seine Hand auf der Kupplung und sah, wie seine Sehnen arbeiteten. Mitden Fingern hielt er den Schalthebel umschlossen, der Daumen tippte leicht auf den Knauf.
«Übrigens», sagte er, «
war
ich auf dem College.»
«Ach ja?», sagte sie und vergaß ihre Überraschung zu verbergen. Dann machte sie es noch schlimmer, indem sie sagte: «Oh, gut. Schön für dich.»
Jeffrey sah sie scharf von der Seite an.
«Ich meine, schön, weil … ich meine … weil …» Sie musste über ihre eigene Unfähigkeit lachen, dann legte sie sich die Hand auf den Mund und murmelte: «O Gott, Sara, sei einfach still. Sei einfach still.»
Sie hatte das Gefühl, er lächelte, doch sicher war sie sich nicht.
Dann wagte sie zu fragen: «Wie viel hast du mit angehört?»
«Irgendwas von wegen Abfärben?»
«Das war positiv gemeint.»
«Aha», sagte er.
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