Schattenblume
«Schon mal gesehen?»
«Nein», sagte Jeffrey und ging in die Knie, um besser sehen zu können. Er stand immer noch vor der Tür, doch aus der Hocke sah er die Blutspritzer, die sich fächerförmig um den Toten ausbreiteten. Auch an der Stelle, wo Jeffrey stand, gab es Spritzer. Robert musste gerade versucht haben, den Schalter zu finden, als er getroffen wurde.
«Luke Swan.» Hoss stand auf und steckte die Daumen hinter den Gürtel.
Jeffrey kannte ihn dem Namen nach. «Der war bei uns auf der Schule.»
«Er hat die Schule abgebrochen, bevor ihr euren Abschluss gemacht habt», sagte Hoss. «Erinnerst du dich an ihn?»
Jeffrey nickte, doch es stimmte nicht. In seiner Highschool-Zeit hatte sich fast alles um Football gedreht. Luke Swan war alles andere als ein sportlicher Typ gewesen. Er sah aus, als brächte er nicht mal fünfzig Kilo auf die Waage.
«Seitdem hat er nur Ärger gemacht», sagte Hoss mit einem Anflug von Bedauern. «Drogen, Alkohol. Hat mehr als einen Rausch auf der Wache ausgeschlafen.»
«Hat Robert ihn schon mal verhaftet?»
Hoss zuckte die Achseln. «Teufel, Slick, wir haben nur acht Deputys, die hier Schicht schieben. Jeder von uns hat den Jungen das eine oder andere Mal einkassiert.»
«Hat er schon mal so was angestellt?», fragte Jeffrey. Als Hoss den Kopf schüttelte, erklärte er: «Bewaffneter Raubüberfall ist ein großer Schritt, wenn er bis jetzt nur ein bisschen Ärger gemacht hat.»
Hoss verschränkte die Arme vor der Brust. «Was willst du damit sagen? Sollte ich mir Sorgen machen?»
Jeffrey sah die Leiche an. Auch wenn er das Gesicht des Mannes nicht richtig sehen konnte, ließen ihn die dünnen blauen Lippen und der schmale Körperbau jünger wirken, als er offensichtlich war. «Nein, Sir.»
Ohne darauf zu achten, wohin er trat, kam Hoss auf ihn zu. «Deine Lady vorhin hat mir den Eindruck gemacht, als hätte sie was zu sagen.»
«Sie ist die Gerichtsmedizinerin bei uns in der Stadt.»
Hoss pfiff beeindruckt durch die Zähne, doch seine Bewunderung galt nicht Sara. «Ihr könnt euch einen Gerichtsmediziner leisten?»
«Es ist eine halbe Stelle», erklärte Jeffrey.
«Ist sie teuer?»
Jeffrey schüttelte den Kopf, obwohl er keine Ahnung hatte, was Sara verdiente. Ihrem Haus und ihrem Wagen nach zu urteilen sehr viel mehr als er. Natürlich war es immer leichter, Geld zu verdienen, wenn bereits welches im Hintergrund war. Diese Wahrheit hatte Jeffrey sein Leben lang bestätigt gefunden.
Hoss nickte mit dem Kopf in Richtung der Leiche. «Glaubst du, sie würde den für uns übernehmen?»
Wieder bekam Jeffrey kaum Luft. «Ich frag sie.»
«Gut.» Hoss warf einen letzten Blick in das Zimmer. «Ich will, dass die Sache so schnell wie möglich aufgeklärt wird und Robert wieder auf der Straße ist.»
Dann, als wollte er jede weitere Diskussion beenden, drehte er sich um und machte das Licht aus.
KAPITEL NEUN
S ara wachte schweißgebadet auf. Als sie sich zu schnell aufsetzte, brummte ihr der Kopf. Verwirrt sah sie sich um und versuchte sich zu erinnern, wo sie war. Die Auburn-Devotionalien hatten eine beruhigende Wirkung. Selbst die orangeblaue Decke, die Nell ihr gestern Nacht gegeben hatte, war irgendwie tröstlich. Sara machte es sich bequem, legte sich die Decke um die Schultern und lauschte den gedämpften Geräuschen. In der Küche hörte sie die Kaffeemaschine, und irgendwo hupte ein Auto.
Sie zog die Beine an und legte das Kinn auf die Knie. Sara hatte lange keinen Albtraum von Atlanta mehr gehabt, doch jetzt war sie wieder dort gewesen – in dem Toilettenraum im Grady Hospital, wo sie vergewaltigt worden war. Der Vergewaltiger hatte ihr die Hände mit Handschellen hinter dem Rücken gefesselt und Sara auf eine Weise geschändet, die noch heute schmerzte, wenn sie daran dachte. Und zum Schluss hatte er ihr den Bauch aufgeschlitzt und sie in ihrem Blut liegen lassen.
Es schnürte ihr die Kehle zu, und Sara schloss die Augen, um durch tiefes Ein- und Ausatmen die aufkommende Panik zu unterdrücken.
«Geht’s dir gut?» Nell stand mit einer Kaffeetasse in der Tür.
Sara nickte.
«Possum ist schon los und macht den Laden auf. Jeffrey will nach Jessie sehen. Aber er soll nicht glauben, dass sie vor Mittag aus dem Bett kommt.» Sara schwieg. «Er lässt dir ausrichten, du sollst um halb neun startklar sein.»
Sara sah zur Uhr, die auf dem Kaminsims stand. Es war halb acht.
«Der Kaffee ist fertig, wenn du welchen willst», sagte Nell dann und ließ Sara
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