Schattenblume
Doppelt so viel Verantwortung. Doppelt so viel Gefahr. Doppelt so viel Schmerz.
«Alles in Ordnung?», fragte Molly wieder.
«Ich habe heute Geburtstag», sagte Lena plötzlich, ohne auf den Weg zu achten.
«Wirklich?»
«Ja.»
«Hier können wir parken», sagte Molly. Erst jetzt merkte Lena, dass sie fast am Revier vorbeigefahren war. Nick hatte ihr eingebläut, dass sie den Eingang nicht blockieren durften, und sie hatten verabredet, es wäre das Beste, auf der Seite der Boutique zu parken, nicht in Richtung College.
Lena überlegte, ob sie zurückfahren sollte, doch es war zu spät. «Dann müssen wir wohl.»
«Ja.» Molly strich sich die Hose glatt. «Das Ganze ist doch eine Routinesache, oder? Wir gehen mit dem Essen rein und kommen mit Marla heraus, nicht wahr?»
«Stimmt», sagte Lena. Ihre Hand rutschte vom Schaltknüppel ab, als sie auf Parken schaltete. Leise fluchte sie vor sich hin, versuchte sich zusammenzureißen. Lena hatte nie Angst. Vor zwei Jahren hatte sie Schlimmeres erlebt, als die meisten Menschen sich nur vorstellen konnten. Wovor hatte sie Angst? Was konnte hier auf sie warten, das noch schlimmer war?
«Hören Sie», begann Molly zögernd. «Nick hat gesagt, ich soll es Ihnen nicht sagen …»
Lena wartete.
«Wir haben ein Zeitlimit. Wenn wir nicht rechtzeitig rauskommen, kommen unsere Leute rein.»
«Und warum darf ich das nicht wissen?»
«Nick hatte Angst, dass die Geiselnehmer Wind davon bekommen.»
«Aha.» Lena verstand. Nick vertraute ihr nicht. Das hatte er Amanda Wagner deutlich genug gesagt. Er dachte wohl, Lena würde Dummheiten machen, würde sie alle indie Scheiße reiten. Und vielleicht hatte er Recht. Vielleicht würde Lena die Sache in den Sand setzen, so wie sie immer alles in den Sand setzte. Vielleicht war es das. Das Ende vom Lied.
«Wird schon schief gehen», sagte Molly und griff nach Lenas Hand.
Weil ihr sonst nichts einfiel, sah Lena auf die Uhr.
Molly tat es ihr gleich. «Ich hab meine Uhr mit seiner abgeglichen.» Sie zeigte Lena ihre große Snoopy-Uhr. Als Lena ihre Digitaluhr auf die gleiche Zeit einstellte, fragte sie sich, wozu das gut sein sollte.
«Sie kommen genau vierzig Minuten, nachdem wir durch die Tür gegangen sind.» Sie sah noch einmal auf die Uhr. «Das wäre dann also um 15.32 Uhr.»
«Okay», sagte Lena.
Molly legte die Hand auf den Türgriff. «Wir schaffen es rechtzeitig zu Ihrer Party.»
«Welcher Party?» Lena hatte keinen Schimmer, wovon Molly sprach.
«Ihrer Geburtstagsparty.» Dann öffnete sie die Tür einen Spalt. «Fertig?»
Lena nickte, zu sprechen wagte sie nicht. Die beiden Frauen stiegen aus dem Notarztwagen und trafen sich an der Heckklappe, wo Wagners Männer die Kisten mit Proviant eingeladen hatten, kaltem Wasser und abgepackten Sandwiches von den Tankstellen im Umkreis. Auf dem Weg zum Eingang konzentrierte sich Lena auf die Sandwiches. Sie las die Etiketten und fragte sich, wer für so ein labberiges Schinken-Salat-Sandwich Geld ausgab. Das Verfallsdatum war erst in drei Monaten. Wahrscheinlich steckten in jedem Bissen genug Konservierungsstoffe, um damit ein Pferd einzupökeln.
«Los geht’s», sagte Molly, als vor ihnen die Tür aufging.
Lena drehte sich der Magen um. Aus der Tür fiel ihnen Matts Leiche entgegen. Was von seinem Kopf übrig war, klatschte mit einem schmatzenden Geräusch auf den Boden, Blut und Gehirn spritzten auf den Bürgersteig. Das meiste von seinem Gesicht fehlte, das linke Auge hing nur noch an einem Nerv, wie bei einer Halloween-Maske. Der Kiefer klaffte offen, und Lena konnte alles sehen – die Zähne, die lange Zunge, die Sehnen und die Muskeln, die das Ganze noch zusammenhielten.
«Langsam», sagte der Mann, der innen hinter der Tür stand. Er trug eine schwarze Skimaske mit mandelförmigen Löchern für Augen und Mund. Lena wurde plötzlich von einer lähmenden Angst gepackt. Frank hatte nichts von Masken gesagt. Die Männer hatten sie also übergezogen, um von den Sanitätern nicht erkannt zu werden. Was das für die Geiseln bedeutete, die ihre Gesichter bereits kannten, wollte sich Lena nicht ausmalen.
«Immer langsam», sagte er und winkte sie herein. In einer Hand hielt er eine abgesägte Schrotflinte – die Wingmaster, die Frank gesehen hatte –, in der anderen eine Sig Sauer. Die kugelsichere Weste schmiegte sich eng an seine Brust, und sie entdeckte noch eine Pistole, die im Bund seiner Armeehose steckte.
Lena merkte erst, dass sie stehen geblieben war,
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