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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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sehe, komme ich zu spät.« »Zu spät … ja, Nhordukael … denn ich bin verloren!« Bars Balicor schluchzte. »Das Verlies ist zu stark … es will mir nicht gehorchen, widersetzt sich … bin ich denn nicht der Hohepriester dieser elenden Kirche? Tathrils Vertreter? Und nun sieh … sieh, was es aus mir gemacht hat.«
    Nhordukael wandte sich an Sai'Kanee. »Was ist mit seinen Augen geschehen?«
    Sie verzog keine Miene. »Das Verlies hat sie ihm geöffnet. Wenn er klug wäre, würde er aufhören, sich dieser Gnade zu widersetzen; dann fände er Frieden, so wie die anderen Menschen, die Nacht für Nacht zu uns herabsteigen.«
    »Sie lügt! Sie lügt!« Balicor rang mit den Händen. »Hier wartet kein Frieden auf uns … das Verlies gaukelt ihn uns nur vor, raubt uns den Willen. Mondschlund ist der Blender, der Herr der Schatten …« Er schlug um sich und wollte sich vom zähen Grund erheben. »Du bist der einzige, der ihn noch aufhalten kann … jetzt erkenne ich es! Verzeih mir, Nhordukael, verzeih meine Dummheit!« Balicors Stimme überschlug sich vor Eifer. »Du kannst ihn besiegen … uns retten! Hör nicht auf seine Lügen! Traue Mondschlund nicht! Reiß ihm die Maske herunter, bevor er diese entsetzliche Stadt an die Oberfläche bringt!«
    Sai'Kanees Augen blitzten auf. Dann hob sie ihren Stab, stieß mit dem Ende nach Balicors Kopf. Mit einem Knall zerplatzte sein Schädel. Flüssiges Gold spritzte empor, klatschte gegen die Wände und rann an ihnen herab, während der Körper nach einem letzten Aufbäumen in den Schatten versank.
    »Endlich schweigt er!« Sai'Kanees Stimme klang kalt. »Ich hätte ihn schon früher von seinem Leid erlösen sollen.«
    »Im Nachhinein muß ich ihm wohl danken«, erwiderte Nhordukael. »Ohne ihn hätte ich Mondschlunds Absichten nie erkannt.«
    Sie richtete nun den Stab auf ihn. »Du mußt dich entscheiden, Nhordukael. Auf welcher Seite stehst du? Sternengängers Einfluß wächst mit jeder Stunde, und je mehr Quellen die Goldei befreien, desto schwieriger wird es für uns, ihm etwas entgegenzusetzen. Du kennst deine Pflicht! Sternengängers Geschöpf muß vernichtet werden, ehe die Wandlung fortschreitet.« Sie drängte Nhordukael auf die Wendeltreppe zurück. »Kehre in die Sphäre zurück und setze den Kampf fort. Ich werde dir bei dem Übertritt helfen; doch widersetzt du dich, werde ich dich bestrafen, so wie Bars Balicor. Denn Mondschlund duldet keinen Verrat.«
    Wortlos machte sich Nhordukael an den Abstieg.
Durta Slargins Wanderstab liegt in den falschen Händen. Er verleitet diese Frau zu dem Irrtum, es mit mir aufnehmen zu können. Ich werde sie wohl bald eines Besseren belehren.

KAPITEL 10
Tänze
    Kranichgeschrei hallte über den See Velubar. Die stolzen Vögel zogen in einem Schwärm dicht über das Wasser; ihre Flügelenden wirbelten kleine Tropfen auf. Sie schillerten im Abendrot wie Rubine.
    Velubar war das größte Binnengewässer von Vodtiva; es erstreckte sich über die halbe Insel. Man nannte den See auch das Faulende Meer; sein Wasser war trüb und modrig, an vielen Stellen trieben Öllachen in den Strömen. Diese stiegen vom Grund empor; an heißen Tagen entzündeten sie sich und verzehrten sich in dunkelgrünen Flammen. Stets hing schwüle Luft über dem Faulenden Meer; Libellen schwirrten umher, jagten Mücken und Wasserläufer, und die Wellen schwappten gegen die Stämme der Sumpfbrecher, die mit ihren hochgestellten Wurzeln Vögeln einen Nistplatz boten. Manchmal teilte sich das Wasser; dann lugte ein Otter hervor, zwischen den Zähnen einen Fisch oder eine Schildkröte, und spähte nach Feinden.
    Velubar lag unmittelbar an Venetors Stadtrand. An einigen Stellen trennte nur eine dünne Landzunge den See vom Haff, und so war die Stadt eigentümlich in die Länge gezogen. Nach Süden hin dünnten sich die Steinbauten aus. Hier standen schlichte Holzhütten, in denen die Ärmsten der Stadt wohnten. Die meisten von ihnen arbeiteten in den Silberbergwerken von Sibura; da diese weder über die zerklüftete Nordpassage noch über die äußeren Küsten zu erreichen waren, führte der einzige sichere Weg über den See. Auf Flößen setzten die Menschen nach Sibura über, schufteten tagelang in den Bergwerken und kehrten mit dem abge- bauten Erz nach Venetor zurück. So war es seit Jahrhunderten, seit Durta Slargin die Woge der Trauer gebändigt hatte; sie wallte in der Mitte des Sees und schuf jenen sanften Wellengang, der Tag und Nacht gegen die Ufer

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