Schattenbruch
unterirdischen Kammern in meiner Hand blieb, mußte die Quelle sich ihrem Bezwinger fügen. Seitdem herrscht die Tathrilya über das Verlies. Doch nun wurden tiefere Kammern geöffnet; eine meiner Getreuen erkundet die verborgenen Hallen und wird sie für mich zurückerobern.«
Der Triumph in Mondschlunds Stimme war nicht zu überhören. »Betrachtest du etwa das Auge der Glut auch als deinen Besitz?« fragte Nhordukael mit spitzer Stimme.
»Niemand kann eine Quelle besitzen - dies glaubte Sternengänger, doch er bezahlte bitter für seinen Irrtum. Das Auge der Glut duldete die Herrschaft der Priester mit Widerwillen und wartete lange auf seine Befreiung.« »Ist es dann nicht erstaunlich, daß diese Quelle keineswegs nach Freiheit strebte, sondern sich mir unterwarf - mir, einem Zögling der Kirche?« Funken sprühten aus Nhordukaels Augen, während er die Finsternis nach Mondschlund absuchte. Doch der Zauberer blieb im Verborgenen; Nhordukael konnte nicht ergründen, aus welcher Richtung die körperlose Stimme zu ihm drang. »Zweimal rettete mich das Auge der Glut: als ich in Thax mit geschmolzener Bronze überschüttet wurde und als Magro Fargh meinen Körper in Besitz nehmen wollte. Warum stand die Quelle mir bei?«
»Sie erkannte deine außergewöhnliche Gabe. Nur selten werden Menschen geboren, die die Quellen durchschreiten können. Kahida war die erste von ihnen, ich und Sternengänger die nächsten. Varyn, mein Schüler, trug als letzter die Gabe in sich. Sie verlieh ihm die Macht, den Leuchtturm von Fareghi und das Verlies der Schriften zu erbauen. Auch ihm fügten sich die Quellen aus freiem Willen.«
»Dennoch - das Auge der Glut hätte einen anderen Weg wählen können. Als ich Magro Fargh tötete, hätte es sich befreien können.«
»Es erkannte in dir einen Auserkorenen.« Mondschlunds Gesang klang verschwörerisch. »Doch täusche dich nicht, Nhordukael - eine Quelle wird dem Menschen niemals für immer dienen. Sie besitzt einen eigenen Willen. Warum, glaubst du, unterwarf Sternengänger sie mit Gewalt? Weil ihre Freiheit ihm gefährlich schien. Auch dir wird die Quelle von Arnos nur so lange Kraft schenken, wie es ihr sinnvoll erscheint. Diese Zeit mußt du nutzen, um Sternengänger zu besiegen. Denke daran: er hat bereits einen der Auserkorenen auf seine Seite gezogen, und beinahe wäre es ihm gelungen, auch deinen Körper zu rauben.«
Nhordukael dachte an den Augenblick zurück, als er in der Ruinenstadt am Nesfer dem Auserkorenen begegnet war: eine Gestalt, umwirkt von einem Netz aus Silberfäden, welches die Sphäre durchsponnen hatte, sein Gesicht aus Gold. Ohne Gnade hatte der Auserkorene unter den Arphatern gewütet, und er würde es wieder tun, wenn Nhordukael ihn nicht aufhielt. Ja, Sternengängers Pläne mußten durchkreuzt werden. Doch welche Absicht verfolgte Mondschlund in diesem Spiel?
»Ich will dir eine Frage stellen.« Nhordukael deutete auf den Grund zu seinen Füßen. »Wenn dies die Welt ist, so wie ich sie aus der Sicht der Sphäre wahrnehme - was befindet sich dann oberhalb dieser Ebene? Und was liegt unter ihr?«
Mondschlund stieß ein perlendes Lachen aus. »Das ist eine gute Frage! Die Welt ist so, wie der Mensch sie geformt hat. Doch wie du siehst, ist die Sphäre unendlich; aus ihr kann etwas Neues entstehen, dort oben in lichtlosen Weiten, um eines Tages auf die Welt herabzusinken wie schwerer Nebel …«
»… oder es könnte aus der Tiefe hervorbrechen«, ergänzte Nhordukael. »Das Zeitalter der Wandlung - das ist damit gemeint, nicht wahr?«
»Sternengänger will die Welt ein zweites Mal formen. Ich aber will sie retten. Der Rachefeldzug der Goldei muß ein Ende finden, die Sphäre dem Einfluß Sternengängers entrissen werden. Deshalb mußt du den zweiten Auserkorenen aufhalten.«
Nhordukael bemerkte wohl, daß Mondschlund nur einen Teil seiner Frage beantwortet hatte. Was befand sich also unterhalb der vorhandenen Welt? Konnte er Mondschlund deshalb nicht sehen, weil seine Stimme aus der Tiefe zu ihm empor drang?
Er mußte auf eigene Faust nach einer Antwort suchen. Seine Gestalt glühte auf; Flammen umwaberten Nhorduka eis Körper, und schon verwehten ihn die Sphärenströme, rissen ihn hinab in den kochenden Strudel, dem er entstiegen war: dem Auge der Glut, dessen Herz seit Jahrhunderten im Brennenden Berg Arnos pochte. Sie standen still, Seite an Seite, über ihnen die kristallfunkelnde Decke der Erhabenen Halle, die prächtigste Kaverne des Heiligen
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