Schattenbrut (German Edition)
laufen«, schlug Billy vor. Sie verließen den Friedhof und Billy war froh, dass es vorbei war. Sie brauchte einen Schlusspunkt.
»Orens Familie ist seltsam«, meinte Tamy, während sie entlang einer abgemähten Wiese liefen, die sich hinter dem Kirchhof bis zu einem entfernten Fabrikgelände zog. »Ich hatte den Eindruck, dass sie sich bei der Zeremonie pausenlos um ihren lebenden Sohn gekümmert haben.« Alon hatte immer wieder versucht, wegzulaufen und hatte dabei seltsame Geräusche von sich gegeben, die klangen, wie bei einem Welpen.
»Ja. Und ich musste bei dieser Szene an Viola denken.«
»Warum?«
»Auch Oren war in seiner Familie die Schattenbrut. Derjenige, der nur Unglück brachte.« Das, was Oren über seine Familie erzählt hatte, entsprach der Wahrheit. Zumindest, was das Verhältnis zu seinen Eltern und die Geschichte über seinen behinderten Bruder betraf. Nur adoptiert war Oren nicht. Warum Viola ausgerechnet ihn ausgewählt hatte, würde wohl immer ein Geheimnis bleiben.
»Das stimmt«, erwiderte Tamy. Für Viola muss es aber das Schlimmste gewesen sein, dass ihre Mutter dann Katja aufnahm wie ein eigenes Kind.«
»Hmmm«, brummte Billy.
»Ist dir aufgefallen, dass Katja so ist wie du?«
»Findest du?«
»Ja. Sie ist zornig und leidenschaftlich.«
Billy dachte nach.
»Viola muss Katja beneidet haben, gleichzeitig hat sie Katja gehasst. Dafür hat sich Viola dich als Vorbild genommen. Jemanden, der so ist wie Katja, der aber keine Bedrohung darstellt.«
»Das ist möglich«, stimmte Billy zu. »Das würde auch erklären, warum Franks Mutter das Tagebuch auf Katjas Schreibtisch gesehen hat.«
»Was meinst du?«
»Nun, ich glaube nicht, dass Viola ihr Vorhaben damals schon geplant hat. Ich kann mir vorstellen, dass ein Teil von ihr sein wollte wie Katja. Dass sie sich heimlich in Katjas Zimmer aufgehalten hat, deren Kleidung trug, so tat, als wäre sie ebenfalls stark. So ein Verhalten wäre nicht ungewöhnlich für ein junges Mädchen.«
»Irgendwie gruselig, findest du nicht?«
Billy zuckte mit den Schultern. »Es ist vorbei.«
»Ich frage mich, ob Marianne Heilmann recht hatte und Viola wirklich etwas Dunkles an sich hatte, oder ob Viola nur so wurde, weil ihre Mutter all das Böse in ihr sah.« Tamy schlurfte geräuschvoll.
»Was war zuerst? Henne oder Ei? Es ist müßig, darüber nachzudenken. Ich mache mir mehr Sorgen um Paula.«
»Hast du mit ihr ausgemacht, wann wir uns treffen wollen?«
»Noch nicht. Erstmal muss Paula mit der Trennung klarkommen.« Sie hatte mit Paula telefoniert. Paula wäre gerne zu der Beerdigung gekommen, doch ihr Mann war in der Zwischenzeit ausgezogen und die beiden Kinder waren durch die neue Situation so verwirrt, dass Paula sie nicht alleine lassen wollte.
»Meinst du, das hat Viola für dich so eingefädelt?«
Darüber hatte Billy auch schon nachgedacht. Viola war besessen von dem Mädchen aus dem Tagebuch, und sie hätte alles getan, um diesem Mädchen zu gefallen. Billy hatte gewollt, dass Paulas Freundschaft mit Frank zerbrach, Viola hatte dafür gesorgt, dass Paulas Ehe scheiterte.
Eggert hatte ihnen erzählt, dass Viola erst seit einem halben Jahr bei der Kripo in Emmendingen arbeitete, und mittlerweile ging man davon aus, dass sie sich nur um die Stelle beworben hatte, um in Billys Nähe zu sein. Sie war besessen von Billy.
»Kann sein.« Sie blieb stehen, löste sich aus Tamys Griff und atmete tief ein. Die Luft roch feucht und schwer. Bald würde der Winter kommen. »Lass uns umkehren.«
Sie wendeten und Tamy hakte sich wieder bei ihr unter.
»Eines verstehe ich nicht«, begann Tamy und Billy unterdrückte ein Stöhnen. Tamy hatte das Thema bisher gemieden und Billy hatte sich Sorgen um die Freundin gemacht. Erst, seit die Beerdigung vorbei war, schien sie sich zu erlauben, nachzudenken. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem Billy sich nach Ruhe sehnte. Doch sie wusste, dass es für Tamy wichtig war, zu verstehen.
»Was denn?«, ermunterte sie.
»Wie konnte Viola unter einer falschen Identität die Polizeihochschule besuchen?«
»Viola hat keine falsche Identität gebraucht. Sie hatte schon lange den Kontakt zu ihrer Mutter abgebrochen, die beiden haben nur ab und zu telefoniert. Aber niemand wusste, wo Viola war, und offenbar hat auch niemand danach gefragt.«
»Aber der Name. Wenberg. Viola war nie verheiratet.«
»Du würdest dich wundern, wie einfach es ist, ein psychologisches Gutachten zu bekommen, das bescheinigt, dass
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