Schattenbrut (German Edition)
einen Mörder hältst.«
»Du hast ihn an jenem Abend geschlagen, als er vor meiner Tür stand, oder? Du wolltest, dass ich meine Schlüsse ziehe.«
»Ich habe ihn benutzt, um dir zu helfen. Und um noch mehr von dir zu verstehen, denn einige Dinge in deinem Leben haben mir Rätsel aufgegeben.«
Sie dachte an die Fragen, mit denen Oren sie gelöchert hatte. Dachte an den Abend, als er ihr das Bild gezeigt hat. Das Baby mit dem mondförmigen Storchenbiss auf dem Nasenflügel. Loic.
Billys Herz schien plötzlich auszusetzen. »Du weißt, wo mein richtiger Sohn ist.« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
»Ja, Billy.«
»Aber das ist unmöglich. Die Akten sind geheim.«
»Auch die Frau auf dem Amt hatte ihre Geheimnisse.«
Das Herz pochte bis in ihre Fingerspitzen. »Wer ist es?«
Viola lächelte. »Ich werde es dir sagen. Aber nicht jetzt. Du weißt jetzt alles von mir. Ich glaube, dass du es wert bist, alles zu wissen. Aber ich will kein Risiko eingehen.«
»Worauf willst du warten?« Billys Stimme klang rau in ihren eigenen Ohren.
»Darauf, dass wir uns besser kennenlernen.«
Billy zügelte ihren Drang, aufzuspringen und zuzuschlagen. Viola kannte ihren Sohn. Und wahrscheinlich hatte sie sogar Kontakt zu ihm aufgenommen, um an das Babyfoto zu kommen.
Konnte sie das Spiel durchziehen? So tun, als sei sie Violas Freundin? Über mehrere Wochen? Vielleicht Monate? Warten, bis sie endlich die Wahrheit kannte?
Loic würde sie finden, wenn er Interesse haben sollte, sagte sie sich und ließ das falsche Lächeln aus ihrem Gesicht gleiten. »Du bist ekelhaft.«
»Wie bitte?« Viola sah sie verwirrt an und Billy erwiderte ihren Blick mit aller ihr innewohnenden Kälte.
«Weißt du, Viola, genau wie du bin ich ein Verfechter der Wahrheit.« Sie stand auf und stemmte die Hände auf die Hüfte. »Manchmal jedoch lüge auch ich. Allerdings nicht aus Angst, sondern, um das zu bekommen, was mir zusteht.«
Viola lächelte nervös. »Genauso mache ich es auch.«
»Und vorhin musste ich lügen. Das war, als ich dich als mutig bezeichnete.«
Violas Mundwinkel sackten herunter und ihre Augen verzogen sich schmerzhaft.
»Wie du sagst, trägt jeder Mensch seine Ängste mit sich herum, und manche sind sogar Sklaven ihrer Angst. Aber die feigste Person, die ich in meinem ganzen Leben getroffen habe, das bist du.«
Viola zuckte zurück, als wäre sie gestoßen wurden.
»Du hast keinen Schwachpunkt, keinen Menschen, der dir etwas bedeutet, nichts, was dir am Herzen liegt, was du behüten willst, und trotzdem weichst du der Wahrheit aus. Der Wahrheit, dass du niemals mit Katja mithalten kannst, selbst wenn sie zehn Menschen umbringt. Deine Mutter wird sie weiterhin lieben, weil Katja einfach liebenswert ist.«
Violas Augen wurden zu Schlitzen, sie schien die Luft anzuhalten.
»Du sagst, ich sei dein Vorbild gewesen, du glaubst, ich war mutig, weil ich Paula fertiggemacht habe. Aber in Wirklichkeit war ich zu feige, um das Risiko einzugehen, dass Paula es schaffen könnte, mir und meiner Mutter wehzutun. Der Unterschied zwischen mir und dir ist, dass ich zumindest jetzt begriffen habe, dass ich feige war. Und du pflegst deine Feigheit und redest dir ein, besser als andere zu sein.« Billy sah auf Viola herunter, die sich nun ebenfalls erhob.
Sie grinste. »Du hältst dich für sehr schlau, oder?« Speicheltropfen spritzten aus ihrem Mund. »Aber du hast vergessen, dass nur ich weiß, wo dein Sohn ist. Und selbst wenn ich ins Gefängnis gehe, so werde ich Menschen finden, die mir ihre Geheimnisse anvertrauen und danach alles tun, um dieses Geheimnis zu wahren. Immer, wenn ein junger Mann stirbt, wirst du dich fragen, ob es dein Sohn war. Du wirst mit Redaktionen und Polizeidienststellen telefonieren, um herauszufinden, wann der Mann, von dem du gelesen oder gehört hast, Geburtstag hatte.« Sie trat auf Billy zu. Ihre Augen schienen zu glühen.
Billy wich nicht zurück. »Du weißt doch, dass ich sogar meinen Sohn opfere, wenn es sein muss.« Ihre Hände ballten sich hinter ihrem Rücken zu Fäusten. Sie drohte, überzukochen.
Viola sah sie an und griff in ihr Jackett. Bill hielt die Luft an, als sie den Revolver in Violas Hand sah. Doch Viola legte ihn vor sich auf den Tisch.
»Töte mich«, sagte sie. Sie lächelte. »Töte mich, Billy. Es ist deine einzige Chance.«
»Was soll das?«
»Nur wenn ich tot bin, ist dein Sohn sicher vor mir.«
Billy ballte die Fäuste, während sie versuchte, zu
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