Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn
als ob der ganze Wald verstummte; kein einziger Nachtvogel rief, keine Grille zirpte, nicht einmal das Flüstern des scheinbar allgegenwärtigen Elfengesangs war zu hören. Sogar die zahlreichen Fackeln brannten unnatürlich ruhig und still, ein Augenblick höchster Anspannung.
Erst jetzt wurde dem jungen Aydrian der Ernst dieser Nacht und die Bedeutung seiner Einmischung bewusst. Dies war für Brynn nicht einfach irgendeine Prüfung. Hier ging es um weit mehr, um einen grundsätzlichen Nachweis ihres Könnens; vermutlich war dies der alles entscheidende Höhepunkt ihrer Ausbildung.
Er musste sich bewusst erinnern, nicht das Atmen zu vergessen.
Sie sah die fernen Zielscheiben, bloße Umrisse im Schein der Fackeln und des Mondes. Brynn war ein wenig verunsichert, dass die Elfen sich entschieden hatten, diese Zielscheiben in Anlehnung an die behrenesischen Yatols zu gestalten, die verhassten Feinde der To-gai-ru und damit ihrer Eltern. Deren Unmut über die Eroberung To-gais durch das Königreich im Osten und über die Unterwanderung aller Traditionen, sogar der Religion der nomadischen To-gai-ru durch die Yatols, hatte letztendlich zu ihrer Ermordung geführt. Die Yatols huldigten Häuptling Chezru, dem Herrscher über ganz Behren. Er war, so ging das Gerücht, ein ewiges Wesen, ein Geist, der von seinem alternden Körper unverändert auf den eines bald auf die Welt kommenden männlichen behrenesischen Kindes überging. Demzufolge hassten die Anhänger To-gais den derzeitigen Häuptling Chezru ebenso sehr wie seinen Vorgänger, der mit seinen Heerscharen in To-gai eingefallen war.
Die junge Hüterin kannte ihre Pflicht gegenüber ihrem Heimatland. Und die Elfen offensichtlich auch.
Sie inspizierte ihren Köcher – man hatte ihr nur acht Pfeile gegeben –, und Juraviels letzte Worte klangen ihr noch unmissverständlich in den Ohren: »Du hast nur einen Ritt.«
Brynn spannte den von einem berühmten Elfenbogenmacher aus Schwarzfarn gefertigten Bogen. Er ließ sich leicht, fast mühelos spannen, trotzdem hatte Brynn nicht den geringsten Zweifel, dass er im Stande sein würde, die Pfeile mit tödlicher Geschwindigkeit und Präzision abzuschießen.
Noch einmal überprüfte sie die Pfeile; sie waren alle von guter, robuster Machart, einer jedoch erschien ihr außergewöhnlich. Diesen legte Brynn an die Bogensehne.
»Bist du so weit, Diredusk?«, fragte sie leise, den Nacken des gedrungenen Hengstes tätschelnd.
Das Pferd wieherte, als hätte es verstanden, und Brynn, die sich durch ihr treues Tier ermutigt fühlte, musste trotz ihrer Ängste lächeln.
Sie atmete tief durch und berührte mit den Fersen Diredusks Flanken, woraufhin der Hengst mit einem Satz davonschoss und quer über das Feld donnerte. Sie wusste, sie hätte es langsamer angehen können, um mehrere Pfeile abzuschießen, bevor sie das erste Mal wenden musste, aber sie ließ sich ganz von ihren Gefühlen leiten, von ihrem Wunsch, es perfekt zu machen, ihrem Bedürfnis, Lady Dasslerond, Juraviel und all die anderen zu beeindrucken, und dem Drang, ihrem Zorn auf die verhassten Behreneser Luft zu machen.
Ihren ersten Pfeil ließ sie in vollem Galopp davonschnellen; das Geschoss überwand sirrend die Entfernung und bohrte sich mit einem dumpfen Geräusch in eins der Ziele. Ein zweiter Pfeil war bereits in der Luft, als der erste einschlug. Brynn beugte sich weit nach rechts und über den Hals des ruhigen Tieres, und noch während der zweite im Ziel einschlug, schwirrte bereits der dritte auf und davon.
Es war ein weiterer Treffer, doch zu ihrem Entsetzen hörte sie Juraviel rufen, die Wunde sei nicht tödlich.
Daraufhin war sie gezwungen, die Zügel anzuziehen und Diredusk ein Stück nach rechts zu lenken. Als das Pferd nachgab, ließ sie die Zügel fast augenblicklich wieder fallen, legte einen weiteren Pfeil an, ließ ihn von der Sehne schnellen und schaffte beim dritten Ziel einen zweiten und diesmal tödlichen Treffer.
Brynn hatte ihren harmlosen Fehler korrigiert, dabei aber kostbare Zeit und Schwung verloren. Die Zügel mit derselben Hand fassend, in der sie auch den Bogen hielt, zog sie mit der freien Hand einen Pfeil heraus. Dann zog sie Diredusk scharf nach links, sodass das Tier parallel zur Zielscheibenreihe und quer über die schmale Seite des Feldes galoppierte.
Brynn warf ihr linkes Bein über das Pferd, zielte seitlich im Sattel balancierend und schoss.
Das vierte Ziel erzitterte unter der Wucht des Aufpralls, und schließlich auch
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