Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn
geradezu ein Lebenselixier«, gestand sie. »Mich ermüdet sie nur, sonst nichts.«
»Ist die Entscheidung gefallen?«, erkundigte sich Fio Bou-raiy.
»Abt Braumin wird noch heute zum Bischof von Palmaris ernannt«, antwortete sie. »Am Abend wird dann die förmliche Erklärung folgen.«
»Und doch ist König Danube, nach allem, was man hört, mit Herzog Kalas auf der Jagd«, erwiderte Bou-raiy ungläubig, denn des Herzogs Hass auf die Kirche war allgemein bekannt.
»Und mit seinem Bruder Midalis«, sagte Jilseponie. »Die Diskussion über diese Angelegenheit ist abgeschlossen, und Kalas weiß das. Die Ernennung steht fest, wie ich es versprochen hatte.«
»Ihr seid eine vortreffliche Verbündete«, erwiderte Bou-raiy grinsend.
»In erster Linie fühle ich mich den Menschen des Bärenreiches verbunden«, erinnerte ihn Jilseponie, wohl wissend, dass man diesen Mann stets in die Schranken weisen musste. Zwar hatte sie festgestellt, dass sie Bou-raiy nicht unbedingt verabscheute, andererseits war sie auch nicht gerade eine großartige Verfechterin der etwas unduldsamen Weltsicht dieses Mannes. In vielerlei Hinsicht erinnerte Bou-raiy sie an den ehrwürdigen Vater Markwart, beziehungsweise an den Mann, zu dem Markwart hätte werden können, wäre er sich der durch sein Verschulden entstandenen Katastrophe bewusst gewesen. Womöglich hätte Markwart dann einige Fehler vermieden, aber wäre er deshalb wirklich unschuldiger gewesen?
»Demzufolge fühlt Ihr Euch ebenfalls der Kirche verbunden, denn der Abellikaner-Orden teilt diese Hoffnung«, sagte Bou-raiy.
Jilseponie, zu erschöpft, um dieser überfrachteten Vermutung weiter nachzugehen, nickte nur.
»Deshalb möchte ich Euch um einen weiteren Gefallen bitten, oder vielleicht sollte man es besser einen Austausch von Gefälligkeiten zwischen Menschen nennen, die auf derselben Seite kämpfen«, fuhr Fio Bou-raiy mit einem verschmitzten Grinsen fort, das Jilseponie sofort wachsam werden ließ.
»Ihr wartet heute mit so mancher Überraschung auf, Meister Bou-raiy«, erwiderte die Königin. »Falls wir über weitere Geschäfte sprechen wollen, hättet Ihr dann nicht sowohl Bischof Braumin als auch Abt Ohwan mitbringen sollen?«
»Sie sind über meine Ziele bestens unterrichtet und unterstützen sie auf jede nur erdenkliche Art«, antwortete Bou-raiy, der sich in seiner Rolle offenkundig sehr gefiel – was Königin Jilseponies Unbehagen nur noch verstärkte.
»Ich möchte Euch einen Vorschlag machen«, erklärte Bou-raiy. »Einen Austausch von Gefälligkeiten zum beiderseitigen Nutzen. Ich für meinen Teil werde Euch und Bischof Braumin das geben, was Ihr Euch am meisten wünscht, meine Einwilligung in die Heiligsprechung von Avelyn Desbris. Zweifelt nicht, dass ich den Vorgang beschleunigen kann; möglicherweise ließe sich Avelyns förmliche Seligsprechung und seine Erhebung in den Stand der Heiligkeit schon bis Ende nächsten Jahres erreichen.«
Jilseponies Blick verengte sich argwöhnisch. Sie hatte gewusst, dass Bou-raiy in das Vorhaben einwilligen würde, und sei es nur, um auch weiterhin bei vielen jungen und einflussreichen Meistern in der abellikanischen Kirche wohlgelitten zu sein. Seine so frühzeitige und so unverhohlene Zustimmung konnte daher kaum überraschen. Was ihr jedoch Sorgen machte, war Fio Bou-raiys Versuch, die Bedeutung seiner Einwilligung so stark herauszuheben.
»Ihr bietet etwas an, was in den Augen nahezu aller, denen die Zeit der Pest noch in Erinnerung ist, nur absolut folgerichtig wäre«, erwiderte sie, bemüht, sich ihren Argwohn, ja ihre Verärgerung nicht anmerken zu lassen. »Keiner, der die Pest wegen seiner Pilgerreise zum Barbakan überlebt hat oder Zeuge der wundersamen Heilung eines seiner Lieben durch den Bund von Avelyn wurde, zweifelt noch an Avelyns Aufstieg in den Stand der Heiligkeit.«
»Allerdings sind im Laufe dieses Prozesses einige beunruhigende Verhaltensweisen des jungen Avelyn ans Licht gekommen«, antwortete Bou-raiy unverblümt. »Zum Beispiel seine Flucht aus St. Mere-Abelle.«
»Seine Flucht vor einer unrechtmäßigen Hinrichtung, meint Ihr wohl«, erwiderte Jilseponie.
Fio Bou-raiy nickte, und sein Gesichtsausdruck verriet, dass er zwar nicht bereit war, in diesem Punkt nachzugeben, er ihn aber zu diesem Zeitpunkt auch nicht ausgiebig zu diskutieren wünschte. Bei Avelyns Flucht aus der Abtei war ein berühmter Meister, Siherton, getötet worden, und selbst Avelyns glühendste Verehrer konnten nicht
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