Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn
die Teilung der Macht entschieden wurde«, erinnerte sie ihn, und wieder lachte König Danube amüsiert.
»Welch gewaltige Umwälzungen im Grundgefüge der gesellschaftlichen Institutionen!«, rief er. »Erst ein Bischof in Palmaris, und jetzt eine Königin in St. Honce, und das auch noch ganz offiziell! Aber was mir Angst macht und was ich nicht verstehe, sind die Motive Meister Bou-raiys«, fuhr er offen fort. »Ich glaube diesen Mann mittlerweile gut genug zu kennen, um zu wissen, dass aus seiner Sicht mehr hinter der Ernennung stecken muss als das Einvernehmen zwischen Staat und Kirche; etwas, das über das Allgemeinwohl hinausgeht.«
»Ich fürchte, du durchschaust ihn«, sagte Jilseponie. Sie fand, dass sie in dieser Angelegenheit Braumin aufsuchen sollte, und war praktisch schon dazu entschlossen, als es ihr – wie schon ihrem Freund, als Fio Bou-raiy ihm damals vor Monaten eben diesen Plan unterbreitet hatte – wie Schuppen von den Augen fiel.
»Er meinte, ich könne eine Stimme im Abtkollegium erhalten«, sagte sie.
»In welchem Abtkollegium?«, wollte Danube wissen. »Hat man etwa schon wieder eins einberufen?«
»Noch nicht, aber das wird bald geschehen, wenn man den Berichten über den schlechten Gesundheitszustand des ehrwürdigen Vaters Agronguerre Glauben schenken kann«, erwiderte sie. »Ich denke, dort wird sich die Wahrheit zeigen. Denn auf diesem Kollegium wird man einen Ersatz suchen, und diese Position wird mit Sicherheit Fio Bou-raiy anstreben. Meines Wissens hat er nur einen Gegner, und der steht noch dazu nicht in der Gunst des Königs.«
»Abt Olin aus Entel«, schloss König Danube, der wusste, was sie meinte. »Bou-raiy geht davon aus, dass du ihn mit deiner Stimme unterstützen wirst.«
Eine Zeit lang saßen sie schweigend da und überdachten die Situation.
»Und wird meine Stimme auf dem Abtkollegium für Meister Fio Bou-raiy sprechen?«, fragte Jilseponie schließlich. »Und sollte sie dies nicht auch?«
Abermals schwiegen sie und König Danube eine Weile, während jeder für sich darüber nachdachte, ob es sich, in Anbetracht der Tatsache, dass man die wahren Hintergründe kannte, nicht vielleicht lohnte, sich auf ein solches Abkommen mit der Kirche einzulassen.
Und so geschah es, dass Jilseponie Wyndon Ursal, noch bevor Meister Fio Bou-raiy, Bischof Braumin und all die anderen aus Palmaris, St. Mere-Abelle und Vanguard zu Beginn des Herbstes wieder nach Norden segelten, zwei Regentenmäntel trug, den der Königin und den der obersten Ordensschwester von St. Honce.
Was nicht unbedingt jeden in Ursal – weder am Hof noch in der Abtei – mit Freude erfüllte.
»Roger Billingsbury«, wandte sich To’el Dallia an Lady Dasslerond, als die beiden aus dem Schatten der Bäume bei Chasewind Manor in Palmaris die Rückkehr von Roger und Dainsey verfolgten. »Er ist ein Freund Jilseponies, und zwar ausschließlich ein Freund.«
Lady Dasslerond nahm To’els leicht bissige Bemerkung – eine unüberhörbare Warnung, die zarten Bande, die diese Menschen zwischen ihren Herzen knüpften, niemals außer Acht zu lassen – mit einem Nicken zur Kenntnis. Wie sonst ließe sich der ebenso offenkundige wie unerhörte Mangel an Besonnenheit seitens Elbryans erklären – den Dasslerond zu den vortrefflichsten Hütern und damit zu den vortrefflichsten Menschen überhaupt zählte –, als er Jilseponie im Bi’nelle dasada unterwiesen hatte?
Lady Dasslerond hatte ihr Spionagenetz bereits ausgeworfen, das die neue Königin im Auge behalten sollte, fürchtete jedoch in Jilseponies Fall noch weitere Augen zu benötigen. Deshalb würde sie einen Weg finden müssen, sich der Bande zwischen Roger und ihr zu bedienen und diese geschickt zu manipulieren.
Ein entmutigendes Unterfangen, aber schließlich handelte es sich in Dassleronds Augen bloß um Menschen.
18. Diese vertrauten blauen Augen
Er entdeckte Micklins Dorf, als der erste Schnee an der Grenze von Wester-Honce niederging, und musste zu seiner Bestürzung feststellen, dass man den Ort aufgegeben hatte. Aber es war nicht etwa eine weitere Katastrophe gewesen, die zum Verlassen des Dorfes geführt hatte, wie Aydrian bald herausfand; allem Anschein nach hatten die Jäger ganz ordentlich zusammengepackt und waren einfach abgezogen.
Als Aydrian in der Ortschaft anlangte, schneite es ununterbrochen den ganzen Tag und auch noch die Nacht hindurch. Am nächsten Morgen sah sich der junge Hüter von einer mehr als drei Fuß hohen Schicht
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