Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn
Welt zerstört worden! Vater Markwart hatte ihm neue Höhen der Macht der Steine gezeigt, hatte ihm gezeigt, wie sich die Kräfte seines bevorzugten Steins, der Tigertatze, umfassender nutzen ließen. Dank dieses Steins hatte Marcalo De’Unnero einst seinen Arm in eine tödliche Tigertatze verwandeln können. Mit Markwarts Hilfe hatte die Verwandlung neue Dimensionen erreicht und auf seinen gesamten Körper übergegriffen.
Im Zuge dieser Verwandlung hatte De’Unneros Körper den Edelstein, die Tigertatze, dann offenbar irgendwie verinnerlicht, und jetzt waren dessen magische Energien unauslöschlich zu einem Teil seines Selbst geworden. Er war kein Mensch mehr – er schien nicht einmal mehr zu altern. Zu dieser Erkenntnis war er erst vor kurzem gelangt, denn davor hatte er geglaubt, nur sein ausgezeichnetes körperliches Training verleihe ihm sein jugendliches Äußeres. Jetzt aber war er neunundvierzig Jahre alt, wobei er das letzte Jahrzehnt in der Wildnis, bei hartem Training und unter rauen Witterungsbedingungen, verbracht hatte, und obwohl sein Äußeres, seine Hautfarbe wie auch sein Haarschnitt sich nun in der Tat verändert hatten, war sein Körper noch immer jung und kräftig, geradezu erstaunlich kräftig.
De’Unnero war sich darüber im Klaren, was das bedeutete. Er war schon lange kein richtiger Mensch mehr.
Er war jetzt der Wertiger, die Bestie mit dem unstillbaren Hunger. Als er sich endlich eingestand, dass die Macht in seinem Innern sich niemals würde vollständig beherrschen lassen, begriff De’Unnero, dass sie ein Fluch war, ein Segen jedenfalls ganz sicher nicht. Nichts auf der ganzen Welt war ihm so verhasst wie das Wesen, zu dem er geworden war. Er verachtete sich und seine Lebensweise und wünschte sich nichts sehnlicher als den Tod. Doch leider blieb ihm selbst der verwehrt, denn durch das Verschmelzen mit den Kräften seiner Tigertatze war er auch mit einem anderen Stein verschmolzen, dem Hämatit, dem Seelenstein. Jede Verletzung, die er jetzt erlitt, so schwer sie auch war, ob tödlich oder nicht, verheilte rasch und vollständig.
Wie als Reaktion auf diesen Gedanken vollführte De’Unnero einen Luftsprung und drehte sich dabei einmal um die eigene Achse; seine Füße schnellten zu ein, zwei mächtigen Tritten vor, die krachend gegen die Seitenwand einer Hütte prallten. Er landete leichtfüßig, schnellte aus sicherem Stand urplötzlich nach vorn und schlug mit seinen Händen peitschenschnell mehrfach auf die festen, unbehauenen Stämme ein, zertrümmerte, zersplitterte das Holz, riss sich die Haut auf und prellte sich die Knöchel. Trotz der brennenden Schmerzen ließ er nicht locker, sondern schlug immer wieder zu und bearbeitete die Wand, als würde ihr Durchbrechen ihn von seinem inneren Fluch erlösen, ihn irgendwie von dem Wertiger befreien.
Seine Hände schwollen an, ein glühender Schmerz schoss explosionsartig durch seine Arme, trotzdem drosch er immer weiter auf die Wand ein. Er sprang und trat und hätte noch lange so weitergemacht, hätte er nicht den Ruf in seinem Innern vernommen. Schließlich spürte er seine wachsende Kraft, spürte er, wie der Zorn umschlug und ihn in ein halb menschliches, halb katzenhaftes Ungeheuer verwandelte.
Marcalo De’Unnero, um Beherrschung bemüht und nicht bereit, der Bestie ihren Willen zu lassen, brach sofort ab. Er taumelte nach hinten, bis er gegen die Wand der gegenüberliegenden Hütte prallte, dann ließ er sich zu Boden gleiten, hielt sich die Hände vor die Brust, zog die Beine unter seinen Körper und schrie seine Absage an den Wertiger, an sich selbst und sein ganzes Leben hinaus.
Einige Zeit später rappelte sich der frühere Bruder des Abellikaner-Ordens aus eigener Kraft wieder auf. Seine Verletzungen bereiteten ihm keine übermäßigen Sorgen, schließlich wusste er, dass sie bei der Rückkehr der ersten Jäger fast vollständig verheilt sein würden. Er ging erneut an die Arbeit, erledigte aber nur das Allernötigste, denn seine Gedanken wanderten immer wieder zu seinem Gefühlsausbruch auf dem kleinen Hofplatz zurück. Um ein Haar hätte er seine neu geschaffene Existenz zerstört, und selbst wenn es in Marcalo De’Unneros Augen wirklich nichts Besonderes war, so schien es derzeit eine seiner wenigen Alternativen zu sein.
Am späten Nachmittag schlenderte er gemächlich zum Holzstapel hinüber und beschloss, als er sah, dass der Vorrat an geschlagenem Holz knapp wurde, in den Wald zu gehen, um trotz des
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