Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn
schritt er die Pfade ab, und mit jedem Schritt wuchs sein Zorn, dass er wieder einmal ausgeschlossen werden sollte von … nun, was immer die Touel’alfar in dieser Nacht mit Brynn anstellen mochten.
Seine Enttäuschung wurde immer größer, verflog dann aber mit einem Schlag, als er helle Elfenstimmen vernahm, die mit der abendlichen Brise herangeweht wurden. Sofort war Aydrian auf der Hut, ging in die Hocke und spitzte die Ohren, um aus dem Geräusch auf die Richtung zu schließen. Er wusste auch, dass die Elfen ihre Stimmen verbergen oder irreführend einsetzen konnten, und als er sie schließlich ortete und sich rasch in diese Richtung aufmachte, rechnete er sehr wohl damit, dass die Elfen ihn vergeblich durch die Nacht irren lassen würden. Kurz darauf kam jedoch der Schein von Fackeln in Sicht; diesmal säumten sie eine ebenso breite wie lange, auf allen vier Seiten von prachtvollen Kiefern umstandene Freifläche. Der junge Hüter blieb stehen und ließ sich einen Augenblick Zeit zu überlegen, wo er sich befand, und sich alles in Erinnerung zu rufen, was er über das Gelände rings um diese Fläche wusste. Kurz darauf setzte er sich wieder in Bewegung, ohne aber direkt auf die Wiese zuzuhalten. Stattdessen lief er in nördlicher Richtung links hinunter zu einem ausgetrockneten und eingesunkenen Bachbett, das parallel zum Nordrand der Wiese verlief.
Während der Elfengesang die Luft um ihn herum erfüllte, robbte Aydrian, den Bauch an den Boden gepresst, die Uferböschung hinauf. Kurz vor Erreichen des Kamms hielt er inne, lauschte auf den Elfengesang und versuchte daraus auf die Stimmung der Touel’alfar zu schließen.
Dem Klang dieser wundervollen und ehrfürchtigen Melodie nach schien dies kein weiterer Test zu sein, erst recht keiner über Brynns Tapferkeit als Kriegerin. Nein, irgendwie erschien ihm dies ernster und feierlicher, aus längst vergangener Zeit.
Aydrian atmete tief durch und kroch ein wenig weiter hinauf, um unter den ineinander verflochtenen Fichtenzweigen über den Kamm blicken zu können.
Dort auf dem Feld standen in Reih und Glied die Touel’alfar, alle miteinander, wie es schien, das Gesicht Lady Dasslerond zugewandt. Lange, sehr lange blieb der Junge dort liegen, ohne auch nur zu merken, dass er atmete.
Schließlich endete der Elfengesang, obwohl die letzten Töne noch endlos lange in der Luft zu hängen schienen. Kein einziger Vogel, nicht einmal eine Grille, zirpte in dieser lautlosen Nacht.
»Belli’mar Juraviel«, sagte Lady Dasslerond einen Moment später. »Zum zweiten Mal in dieser kurzen Zeit übergibst du uns eine Hüterin, die bereit ist, in die weite Welt hinauszuziehen. Ist sie so weit?«
»Sie ist es, Mylady«, erwiderte Juraviel, während er die stummen Reihen der Elfen abschritt. »Ich übergebe Euch Brynn Dharielle!« Er blieb stehen, drehte sich um und deutete mit ausgestrecktem Arm hinter sich; und dort, unmittelbar hinter ihm, ging Brynn.
Aydrian hätte es fast den Atem verschlagen; vielleicht blieb ihm sogar die Luft weg, aber es kümmerte ihn nicht. Brynn schritt mit einer Eleganz und einem Stolz einher, die dem Ereignis angemessen waren. Sie war, bis auf ein paar große Federn, die man ins dunkle Haar geflochten hatte, nackt. Aydrian hatte sie bereits nackt gesehen, schon oft sogar, denn er hatte sich häufig in das Gestrüpp am Rande der kleinen Wiese geschlichen, auf dem die junge Frau ihre morgendlichen Bi’nelle dasada -Schwerttanzübungen ausführte, und stets hatte der Anblick ihrer makellosen, braunen Haut bei Aydrian Gefühle ausgelöst, die er nicht recht verstand.
Aber dies ging sehr viel weiter. In dieser Nacht schien ihm Brynn Dharielle etwas sehr viel Großartigeres als die Frau, die er beim Schwerttanz beobachtet hatte, etwas Übernatürliches und von spiritueller Schönheit Erfülltes, das über die lustvollen fleischlichen Begierden hinausging. Sie war nackt und unbestreitbar aufreizend, trotzdem vermochte Aydrian seinen Blick nicht von ihrem heiteren, zufriedenen Gesicht und ihren leuchtenden, dunklen Augen abzuwenden. Es schien ihm, als trüge sie an diesem Abend als einzige Bekleidung ihre Seele.
Plötzlich fühlte sich Aydrian fehl am Platz, so als verletze er ihre Privatheit diesmal weit mehr als bei seinen pubertären Spitzeleien während ihrer morgendlichen Schwerttanzübungen. Da hatte er ihr Training im Blick gehabt, hatte ihre Konzentration, ihr körperliches Geschick und ihre körperlichen Reize bewundert, jetzt dagegen
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