Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn
lieben würde, dass sie überhaupt nie einen anderen so lieben würde wie Elbryan. Diese unerschütterliche Wahrheit vorausgesetzt – wäre es da einem anderen gegenüber fair, wenn sie dessen Heiratsantrag annahm?
Jilseponie wusste es wirklich nicht.
»Selbst Roger Flinkfinger hat sich mittlerweile dazu durchgerungen, die Verbindung in einem vorteilhaften Licht zu sehen«, bemerkte Bruder Viscenti, und diesmal war Jilseponies finsterer Blick nicht gespielt.
»Ich … ich wollte damit nicht andeuten …«, stammelte der Mönch, doch seine Worte – wie auch sein Herz – verdorrten unter ihrem Furcht erregenden Blick.
Den Jilseponie eine ganze Weile beibehielt. Sie war sich der Folgen bewusst, und sie wusste durchaus, dass Roger Flinkfinger, ihr bester Freund und engster Berater in Chasewind Manor, seine Einstellung zu König Danubes Annäherungsversuchen geändert hatte. So sehr, dass Roger und seine Gemahlin, Dainsey, Palmaris noch vor den ersten Schneefällen des Winters mit dem Ziel Dundalis, hoch im Norden, verlassen hatten. Roger, ein Freund des toten Elbryan, hatte sich aus Loyalität zu Elbryan entschieden gegen eine Liaison Jilseponies mit Danube oder einem anderen Mann ausgesprochen, und Jilseponie wusste das. Während des letzten Sommers aber war seine Haltung in diesem Punkt immer nachgiebiger geworden. Trotzdem missfiel es Jilseponie, dass Viscenti oder irgendjemand sonst von außen Druck auf eine Entscheidung auszuüben versuchte, die letztendlich auf ihren ureigensten Gefühlen beruhte. Sicher, für das gemeine Volk mochte es eine gute Sache sein, wenn sie König Danube ehelichte und damit Königin des Bärenreiches wurde. In dieser Eigenschaft konnte sie als Mittlerin bei den noch immer üblichen Streitereien zwischen Staat und Kirche auftreten.
»Vergebt meinem Freund«, bat Abt Braumin sie einen Augenblick darauf. »Wir Kirchenmänner würden Eure Verbindung mit König Danube, so sie denn zustande käme, zweifellos willkommen heißen«, erklärte er. »Natürlich würde ich sie um so mehr begrüßen, wenn sie tatsächlich Ponys Herzenswunsch entspräche«, beeilte er sich hinzuzufügen, als er sah, wie sich ihr Blick abermals verfinsterte.
Jilseponie hatte gerade widersprechen wollen, als Braumin seine letzte Bemerkung anfügte. Und natürlich war es ein Wort aus diesem Satz gewesen – Pony –, das sie schlagartig verstummen ließ. Es war ihr Kosename, ihr am häufigsten benutzter Name aus früheren Tagen. Als Jilseponie nach dem Ausbruch der Pest erkannte, dass sie sich nicht einfach, vergraben in ihrem Kummer, in Dundalis verkriechen konnte, hatte sie ihren Kosenamen allerdings bewusst aufgegeben und, einer schützenden Hülle gleich, den förmlicher klingenden Namen Jilseponie Wyndon angenommen. Zu hören, wie Braumin ihn jetzt so unerwartet aussprach, beschwor eine Vielzahl von Bildern und Erinnerungen herauf.
»In Ponys Herz ist kein Platz für den König«, erwiderte sie leise, und alle Anzeichen ihres Zorns waren verflogen. »In Ponys Herz niemals.«
Weder Braumin noch Viscenti schienen die tiefere Bedeutung zu begreifen.
»Im Übrigen scheine ich Euch daran erinnern zu müssen, meine Freunde, dass ich offiziell dem Staat und nicht Eurer Kirche angehöre«, fügte Jilseponie hinzu.
»Dieser Tatsache sind wir uns bewusst«, bemerkte Bruder Viscenti mit einem verschmitzten Grinsen.
»Man könnte den Eindruck haben, Ihr gehört sowohl der Kirche als auch dem Staat an«, beeilte Braumin sich hinzuzufügen, bevor Viscentis unangebrachter Sarkasmus sie erneut in die Defensive zwang. »Ihr habt das Staatsamt allen Ämtern vorgezogen, die die Kirche Euch hätte verleihen können, das stimmt, aber in dieser Eigenschaft habt Ihr alles darangesetzt, uns in Geist und Tat zu vereinen.«
»Ohne einen ungeheuren Kampf hätte Eure Kirche mich niemals in irgendeiner Machtposition akzeptiert«, sagte Jilseponie.
»Da bin ich anderer Meinung«, erwiderte Braumin. »Nicht nach dem zweiten Wunder von Aida und dem Bund von Avelyn. Selbst Fio Bou-raiy hat diese heilige Stätte als ein anderer Mensch verlassen, als ein Mann, der die Macht und die Redlichkeit von Jilseponie Wyndon verstand. Er hätte sich nicht einmal mehr Eurer Berufung in ein so bedeutendes Amt wie das einer Äbtissin von St. Precious widersetzt.«
Jilseponie reagierte nicht, denn noch im selben Augenblick, da sie die Worte ausgesprochen hatte, war ihr klar geworden, wie unaufrichtig ihre Behauptung war, sie gehöre eher dem Staat
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