Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn
dass er eine Menge über den Ort wusste. »Du sprachst sogar davon, du hättest an der Mauer gearbeitet, und das ist eine Arbeit, die ausschließlich Mönchen vorbehalten ist«, fuhr der Mann fort und bestätigte damit De’Unneros Befürchtungen. »Also, wann hast du gelogen, Bertram Dale? Als du sagtest, du hättest an der Kaimauer der Abtei St. Mere-Abelle gearbeitet, oder jetzt, wo du alles abstreitest?«
De’Unnero lehnte sich zurück und versuchte sich jedes seiner Worte ins Gedächtnis zu rufen, sich irgendwie herauszureden.
»Was willst du damit sagen?«, wandte sich Jedidie an den anderen Jäger.
»Ich habe eine Zeit lang in der Gegend gelebt«, antwortete der Mann. »Daher weiß ich, dass beides zugleich nicht möglich ist.« De’Unneros offenkundig bestürzten Gesichtsausdruck musternd fügte er grinsend hinzu: »Du warst früher einmal Mönch, hab ich Recht?«
»Für kurze Zeit«, antwortete De’Unnero. »Sehr kurze Zeit. Es dauerte nicht lange, bis ich herausfand, dass ich im Grunde meines Herzens nicht in den Abellikaner-Orden gehöre, so wie er heute ist.«
»Muss schon eine Weile her sein«, hakte der Jäger nach. »Du bist so ungefähr mit zwanzig in den Orden eingetreten, stimmt’s?«
Als Antwort nickte De’Unnero knapp und drehte sich zur Seite, griff nach seinem Becher und leerte ihn in einem einzigen Zug.
Er spürte das Brennen in seiner Kehle, als die Flüssigkeit hinunterrann. Im ersten Augenblick dachte er sich nichts dabei, doch dann wurde ihm schlagartig bewusst, was hier gespielt wurde und wieso seine Erinnerung so verschwommen war.
»Ich spreche nicht gerne über diese Zeit«, sagte er mit schwerer Zunge, erhob sich mit einer wenig anmutigen Verbeugung und begann sich zu entfernen, wobei er auf dem Weg zur Tür unbeabsichtigt die Richtung wechselte. Ein wenig kalte Luft würde ihm jetzt gut tun, sagte er sich und wünschte sich nichts sehnlicher, als in den späten Sommerabend hinauszutreten.
Aber die anderen, die noch einmal die Geschichte von seiner Rettung ihres Dorfes hören wollten, hatten etwas anderes im Sinn. Sie umringten ihn, bevor er auch nur in die Nähe der Tür gelangte, und drängten ihn mit sanfter Gewalt quer durch den halben Raum, wo er sich auf einen Stuhl fallen ließ.
Ihm fiel auf, dass noch ein anderer sofort zur Stelle war. Mickael stellte seinen Becher auf den nächstbesten Tisch und zog diesen so nah heran, dass er den Stuhl beinahe berührte.
De’Unneros gequälter Blick wanderte von diesem Becher zu Mickael, doch der kicherte bloß und verschmolz mit dem allgemeinen Durcheinander.
Von allen Seiten wurde er mit Fragen bestürmt, doch De’Unnero, viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, bekam kaum etwas davon mit. Die Situation war für ihn alles andere als vertraut und bereitete ihm zusehends Unbehagen.
Körperlich war er, ob er nun wollte oder nicht, vollkommen entspannt, sein Verstand dagegen war umnebelt und wirr. Er wusste genau, was er sagen oder verschweigen musste, trotzdem ertappte er sich dabei, wie er, sobald er den Mund aufmachte, ständig viel zu freimütig Fragen beantwortete.
»Ich will mehr über St. Mere-Abelle hören«, rief Jedidie entschlossen, zwängte sich durch das Gedränge vor De’Unnero bis in die erste Reihe und landete dabei praktisch auf De’Unneros Schoß.
In diesem Augenblick verspürte der ehemalige Mönch tief in seinem Innern eine urwüchsige Regung und musste sich bewusst zusammenreißen, um ein raubtierhaftes Knurren zu unterdrücken, das aus ihm hervorzubrechen drohte. Wieder einmal hatte ihn der Wertiger eingeholt und wurde immer stärker, je mehr die Konzentration des Mannes in ihm nachließ.
Trotzdem war De’Unnero überzeugt, dass der Mann den Tiger besiegen konnte. Solange es ihm gelang, die Jäger aus seiner unmittelbaren Umgebung fern zu halten und zu verhindern, dass sie ihn mit allzu unangenehmen Fragen bedrängten, konnte er hier sitzen und den Wertiger in Schach halten.
»Irgendwann trete ich auch dort ein, mein Wort darauf!«, grölte Jedidie, De’Unnero mit jedem seiner geifernden Worte besabbernd und beim Sprechen so stark torkelnd, dass er sein Getränk auf De’Unneros Hosenbein schüttete.
Der ehemalige Mönch schloss die Augen und kämpfte mit seiner ganzen, angegriffenen Willenskraft, um die Bestie in Schach zu halten.
Ein weiterer Becher wurde ihm in die Hand gedrückt, begleitet von der gegrölten Aufforderung: »Trink! Runter damit!« De’Unnero versuchte sich dagegen zu
Weitere Kostenlose Bücher