Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn
immer beim Orakel weilte. Es waren auch noch andere in der Nähe; Dassleronds Gesang hielt sie dazu an, die Augen offen zu halten, und warnte sie, es könnte Ärger geben.
Aber alle Warnungen der Welt hätten die Elfen nicht auf jene Katastrophe vorbereiten können, die Aydrian für sie bereithielt.
Lady Dasslerond, das Augenmerk ganz auf den Baum gerichtet, bemerkte es als Erste – ein immer heller werdendes orangenes Leuchten, das sich hinter den Rindenschichten fleckenförmig stammaufwärts ausbreitete.
Plötzlich machte die Herrscherin von Caer’alfar in einiger Entfernung auf einem niedrigen Ast Halt, woraufhin die Elfen in ihrer Begleitung ihrem Beispiel folgten und ebenfalls anhielten. Dann spürte sie es; sie alle spürten es – ein Kribbeln von wachsender Energie, von schierer, immer mächtiger werdender Kraft. Normalerweise war den Elfen die Energie des Universums durchaus willkommen, diese jedoch, das wusste Dasslerond, hatte nichts mit jener Energie gemein, die sie oft mit Hilfe ihres mächtigen Smaragds heraufbeschwor, obwohl beide zweifellos von einem magischen Stein stammten. Schlagartig musste sie an jene Situation zurückdenken, als Aydrian sich gegen das harmonische Kräftespiel eines Graphits gewehrt und ihm seine Magie in einem Zornesausbruch mit Gewalt entrissen hatte.
Das orangene Leuchten kletterte höher und höher, bis es schließlich auf sämtliche Äste übergriff. Erst jetzt bemerkte Lady Dasslerond, dass eine ihrer Artverwandten, Briesendel, in eben diesem Baum hockte; sie stand, offenkundig in einem Zustand völliger Verwirrung, auf einem der oberen Äste.
Sie rief der jüngeren Elfe zu, sie solle springen, doch schon im nächsten Augenblick ging ihr Ruf im Getöse der freigesetzten Energie unter; ein gewaltiger Feuerball tauchte den gesamten Baum in giftiges Orange, das mit einer solchen Heftigkeit und Wildheit in den Nachthimmel züngelte, dass die Gesichter der dem Inferno am nächsten stehenden Elfen in der Hitze und der lodernden Helligkeit leuchtend rot glühten.
Lady Dasslerond verschlug es fast den Atem, und das nicht etwa wegen der Hitze oder des so unvermittelt ausgebrochenen Feuers. Hilflos musste sie mit ansehen, wie Briesendel, die zarten Flügel ein einziger Feuerschweif, aus dieser Feuersbrunst stürzte. Sie versuchte ihren Sturz mit den Flügeln schlagend abzufangen, was ihr aber nicht gelang; ächzend schlug sie hart auf dem Boden auf und versuchte sich abzurollen.
Eine ganze Schar von Elfen eilte zu ihr; so auch Dasslerond, die jedoch plötzlich innehielt, als ihr klar wurde, was sie zu tun hatte. Sie holte ihren Smaragd hervor, drang mit all ihrer Kraft in sein magisches Innenleben ein und beschwor, bekniete seine Magie, Briesendel und Andur’Blough Inninness zu Hilfe zu eilen.
Dunkle Wolken ballten sich über ihr zusammen, deren Unterseite das leuchtende Orange reflektierte.
Flehend, beschwörend drang Lady Dasslerond immer tiefer in den Stein ein.
Und als die bläulich schimmernde Gestalt Aydrians schließlich aus der Höhle unter dem Baum hervorgekrochen kam, setzte endlich der Wolkenbruch ein, ein alles durchnässender Regenguss.
Sich immer wieder nach dem Chaos, das er angerichtet hatte, umschauend, entfernte sich Aydrian torkelnd, und einen kurzen Augenblick hatte Lady Dasslerond die Hoffnung, diese dramatische Lektion könnte endlich jene Veränderung bewirken, die der Junge so dringend nötig hatte.
Die Hoffnung verflog jedoch sofort, als Dasslerond einen Blick in Aydrians Seele warf, die sich in seinen Augen spiegelte. Sicher, er war schockiert, trotzdem war dort ein Ausmaß an Stolz zu erkennen, das jeden Gedanken an Reue zunichte machte.
Dassleronds Lippen wurden zu einem schmalen Strich, und als hätte ein anderer der Touel’alfar ihre Gedanken erahnt, sirrte ein Pfeil quer über die kleine Lichtung und traf Aydrian ins Bein.
Mit einem Aufschrei wirbelte der junge Mann herum und sah Briesendel auf der Erde liegen, neben ihr zwei andere, die versuchten, die Flammen zu löschen und ihr zu helfen.
Sein Gesichtsausdruck schlug in Entsetzen um – allerdings nicht, wie Dasslerond deutlich sah, in Entsetzen über seine Tat; er war eher entsetzt über die möglichen Folgen, die seine Tat für ihn haben konnte.
Ein weiterer Elfenpfeil stieg in den Nachthimmel. Diesmal jedoch war Aydrian gewarnt und konnte sich zur Seite werfen; unmittelbar danach versuchte er, wegen der Wunde in seinem Bein leicht hinkend, Reißaus zu nehmen.
»Das reicht!«,
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