Schattenelf - 2 - Das Turnier
des Todes irgendwie zerreißen und seinen Vater wiederauferstehen lassen konnte. Eine Vorstellung, die ihm unglaublich, unfassbar und letztlich auch erschreckend vorkam.
Das Wesen kam langsam näher und musterte Aydrian mit einem Blick, in dem sich dunkle Ahnung, Entsetzen, Neugier und Verwirrung mischten. Die spirituelle Verbindung war bis zu einem gewissen Grad erhalten geblieben; sie ermöglichte es Aydrian, jeden einzelnen Gedanken dieses Wesens zu empfangen: seine Überlegungen, wer es selber sei und wer Aydrian wohl sein mochte.
»Ganz recht, du kennst mich«, wandte er sich an den Geist und richtete sich stolz zu voller Größe auf. »Ich bin dein Sohn.«
Das Wesen musterte ihn aus immer größer werdenden Augen, dann wurde der Anflug eines Lächelns sichtbar, das seine starren Mundwinkel nach oben bog.
Aydrian erkannte die beiden Möglichkeiten, die ihm jetzt noch blieben, denn diese Scheußlichkeit, deren schiere Existenz die Sinne des jungen Hüters beleidigte, durfte nicht länger Bestand haben. Er umklammerte den Hämatit in der Absicht, noch einmal in das Reich der Finsternis einzutauchen und noch entschlossener für eine vollständige Wiederauferstehung zu kämpfen, aber erneut machte ihm der bloße Gedanke daran große Angst.
Stattdessen riss er Falkenschwinge hoch und legte einen Pfeil an die Sehne. Das Wesen, halb Gespenst, halb Hüter, bedachte ihn mit einem verwirrten, traurigen Blick.
Aydrian schoss den Pfeil ab. Er bohrte sich mit einem dumpfen Geräusch ins Ziel, und die Kreatur taumelte nach hinten.
Elbryan musterte Aydrian noch verwirrter als zuvor.
Ein zweiter Pfeil traf sein Ziel, dann ein dritter; die Kreatur schien nach und nach alles Menschenähnliche zu verlieren und begann, immer mehr einer Leiche zu ähneln. Der vierte Treffer streckte sie zu Boden.
Am Morgen erwachte Aydrian zitternd, merkwürdigerweise aber unverletzt unmittelbar neben den scheinbar unberührten Hügelgräbern. Selbst die letzten Spuren des Schnees lagen wieder auf den Gräbern, genau so, wie Aydrian es vom Abend zuvor in Erinnerung hatte, bevor sein Schneekuppelzauber die Geister herbeigerufen hatte.
Einen entscheidenden Unterschied gab es jedoch, der Aydrian ziemlich verwirrte und die Grenze zwischen Tag und Traum verwischte: Falkenschwinge und Sturmwind, die beiden Waffen seines Vaters, lagen auf ihrem jeweiligen Hügelgrab, als warteten sie auf ihn.
Er nahm Bogen und Köcher, schlang beides über seine Schulter und ergriff ehrfurchtsvoll das mächtige Schwert, die Elfenklinge Sturmwind, dessen Knauf aus einem magischen Stein in den Farben Weiß und Himmelblau bestand, der an die ziehenden Wolken eines Sommertags erinnerte.
Seine neuen Besitztümer griffbereit, mit neu gewonnenen Erkenntnissen und dennoch verwirrter als zuvor, was nach diesem Leben folgen mochte, verließ ein sichtlich mitgenommener Aydrian das kleine Gehölz.
3. Jilseponies Kampf mit den Dämonen
Sie konnte nicht anders: Jedes Mal, wenn sie sich aufrichtete, zuckte sie zusammen, denn die Schmerzen in ihrem Bauch wollten einfach nicht nachlassen. Den Sommer über war es ein wenig besser gewesen. Da hatte der Schmerz mehrere Monate lang sogar so weit nachgelassen, dass fast nichts mehr zu spüren gewesen war. Jetzt aber, da die Wende des Jahres des Herrn 842 nur noch zwei Monate entfernt war und man bereits die Vorbereitungen für das Fest zum Jahresende traf, waren die Schmerzen in zehnfacher Stärke zurückgekehrt.
Sie ließ sich aber nichts anmerken und kam ihren Pflichten nach, so gut es eben ging. Ab und zu allerdings, meist wenn irgendein Adliger ihr das Leben besonders schwer machte, waren die Schmerzen stärker als ihre Vernunft, und Jilseponie ließ ihrer Verärgerung freien Lauf. Einmal hatte sie eine eher unscheinbare Hofdame dabei ertappt, wie sie über sie kicherte, als sie an ihr vorüberging, und gehört, wie die Frau einer Freundin tuschelnd das Gerücht anvertraute, die Königin habe sich einen Liebhaber genommen. Als sie genau in diesem Moment ein tückischer Krampf heimsuchte, war sie, durch den plötzlichen Schmerz nicht mehr ganz Herrin ihres Tuns, sofort auf die Dame aus dem Adelsstand zugegangen und hatte sie geohrfeigt.
Jetzt, da sie in ihrem Schlafgemach saß – nicht in dem, das sie mit König Danube teilte – und über den Zwischenfall nachdachte, konnte sich Jilseponie ein Lächeln nicht verkneifen. Zwar hatte sie sich unbestreitbar ungehörig benommen – sie hätte die Frau festnehmen lassen können,
Weitere Kostenlose Bücher