Schattenelf - 3 - Der Herr der Flammen
die Euch beschäftigen«, fuhr Yakim fort, bemüht, die leidenschaftliche Schärfe seiner Stimme aufrechtzuerhalten und nicht in den üblichen Vortragston dieser Ansprache zu verfallen, die er über die Jahrhunderte schon so oft gehalten hatte. »Fürchtet nicht, enttäuscht zu werden, und fürchtet nicht, Eure Zweifel könnten Euch Yatol gegenüber irgendwie als weniger treu brandmarken. Zu zweifeln und in Frage zu stellen ist Eure Pflicht! Wie könntet Ihr sonst sicher sein, das richtige Kind erwählt zu haben? Hinterfragt und bezweifelt alles! Wenn Ihr aber die neue Stimme Gottes gefunden habt, werden Euch die Fragen im Halse stecken bleiben, und die Zweifel werden so restlos ausgeräumt sein, dass nichts zurückbleibt als Verwirrung darüber, dass Ihr sie jemals hattet. Dann erst, meine Freunde, werdet Ihr den wahren Frieden kennen lernen, denn in diesem Moment werdet Ihr Euren Glauben in seiner ganzen Wahrhaftigkeit begreifen. Zeuge eines Wunders zu werden nimmt einem die Angst vor dem Tod. Schaut Euch doch die wenigen Yatols an, die sich noch an die letzte Phase der Transzendenz erinnern! Seht die Zufriedenheit in ihren Augen, meine Freunde, und seid frohen Mutes, dass auch Ihr eines Tages in den Genuss dieser höchsten Freude kommen werdet.«
Es war nicht einmal gelogen. Nur drei Yatols lebten noch, die sich noch an die letzte Phase der Transzendenz erinnerten, als man Yakim Douan als nächste Stimme des Gottes Yatol identifiziert hatte, und diese drei galten als die glücklichsten aller Yatol-Priester. Glücklich deswegen, weil sie Zeugen eines Wunders geworden waren und wussten, dass der Himmel sie erwartete, glücklich, weil sie den Wert ihres Lebens im Dienste Yatols erkannt hatten.
Und weil Yakim Douan sie nach Strich und Faden hinters Licht geführt hatte.
Als sich die Versammlung wenig später auflöste, verließen die meisten Yatols den Audienzsaal mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen und vertieft in angeregte Unterhaltung über die bevorstehende Phase der Transzendenz – mit zwei bemerkenswerten Ausnahmen, die Yakim Douans Blick und Aufmerksamkeit auf sich zogen, als dieser der nach draußen strömenden Schar nachschaute. Merwan Ma hatte sich im Schatten neben dem Podium niedergelassen und betrachtete ihn mit entgeisterter Miene. Yakims erwarteter und herbeigesehnter Tod beunruhigte ihn zutiefst, das wusste der Chezru-Häuptling, ebenso wie sein Unvermögen, diese Tatsache zu akzeptieren und die daraus folgende Angst und Traurigkeit über den Verlust eines Mannes zu überwinden, den er als seinen Mentor und als Freund betrachtete.
Seine Einstellung und Ängste bereiteten Yakim Douan aber keine ernsthaften Sorgen, denn er wusste, Merwan Ma würde geradezu entzückt sein, sobald die neue Stimme Gottes erst gefunden war. In diesem Augenblick beschloss der Chezru-Häuptling, dem armen Merwan Ma in einer seiner ersten mündlichen Offenbarungen kundzutun, dass er ihm immer noch zur Seite stand, über ihn wachte und es ihn mit Stolz erfüllte, dass sein Schüler seine überaus wichtigen Pflichten so hervorragend versah.
Die zweite Ausnahme im allgemeinen Freudentaumel bereitete Yakim Douan erheblich größere Sorge, denn Yatol Bohl verließ den Audienzsaal weder lächelnd noch in ein angeregtes Gespräch vertieft. Sein Gesicht wirkte finster und verschlossen und war zu einer Maske tiefster Nachdenklichkeit erstarrt.
Der Mann könnte sich als gefährlich entpuppen, das wusste Yakim Douan. Er war jung und willensstark, voller Eifer und Ungeduld, und obendrein noch ehrgeizig – zu ehrgeizig vielleicht, um ein Kind als geistiges Oberhaupt zu akzeptieren. Die einzige echte Sorge, die Yakim Douan durch all die Jahrhunderte verfolgte, war die Schwäche echter Spiritualität gegenüber menschlichen Gefühlen. Dem Aufstieg eines Yatol-Priesters waren, ganz egal wie fromm oder heldenhaft er in den Augen der Kirche auch sein mochte, stets Grenzen gesetzt; niemals konnte er höher steigen als bis ins zweite Glied der Hierarchie. Wenn Bohl das auserwählte Kind vor sich sah, die Stimme Gottes, die ihm die Lehren Yatols ebenso gut aufzählen konnte wie jeder hochgebildete Priester, würde er gewiss überzeugt sein und seinen irdischen Begierden und menschlichen Schwächen abschwören.
Aber würde Yatol Bohl die nötige Geduld aufbringen? Würde er die nahezu zwei Jahre warten, die es dauerte, den neuen Chezru nach Yakim Douans Tod auch nur zu finden? Oder schmiedete er bereits ein Komplott mit dem Ziel,
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