Schattenelf - 5 - Die Unterwerfung
erobern, sondern dass sie gezwungen sein würde, den Drachen noch einmal um Hilfe zu bitten und diese Grauen erregende Waffe ein weiteres Mal auf die Menschheit loszulassen.
Hier, weitab des Geschehens, in den entlegenen nördlichen Gefilden To-gais, mit Pagonel an ihrer Seite, hatte sie sich und dem Mystiker geschworen, Pherol nur zu Kundschafterdiensten aus seiner Höhle zu holen, und ihn vielleicht noch als Drohmittel in der Hinterhand zu behalten, um Yatol Tohen Bardoh in Schach zu halten.
Jede einzelne Krallenspur in diesem endlosen unterirdischen Gang erinnerte sie an die schiere Kraft des Drachen; bei jeder Krallenspur lief es ihr eiskalt über den Rücken.
Aber sie gab nicht auf; sie verdrängte alle aufkommenden Schuldgefühle und führte sich noch einmal in aller Deutlichkeit den Gewinn vor Augen, den sie Pherol zu verdanken hatte. Ihr Volk war befreit; nicht nur, dass es sich nun wieder auf die alten Sitten und Gebräuche der To-gai-ru besann, dank Dharyan-Dharielle war es auch im Begriff, sich höhere Ziele zu setzen, die moderne Welt zu erkunden und deren Errungenschaften ganz beiläufig in die eigene Kultur einfließen zu lassen. Die Kinder der To-gai-ru lernten in Dharyan-Dharielle jetzt sogar lesen – in der großen, neuen Bibliothek, die Brynn aus den Überresten der einstmals so berühmten Bibliothek von Pruda zusammengestellt hatte.
Ihre Rückkehr hierher jedoch, um Pherol erneut für ihre Ziele zu gewinnen, ließ sie immer wieder daran denken, dass alle diese Vorteile nur um einen bestimmten Preis hatten erzielt werden können.
»Du wirst niemals eine ausreichend große Armee zusammenbekommen, um Yatol Bardoh an der Eroberung Jacinthas zu hindern, sollte er tatsächlich gegen diese Stadt vorgehen«, erinnerte Pagonel sie, so als hätte er ihre Gedanken erraten. »Dafür müsstest du ganz To-gai auf die Beine bringen. Glaubst du wirklich, die Menschen würden einem Aufruf zur Verteidigung Behrens Folge leisten? Könntest du das überhaupt ernsthaft von ihnen verlangen?«
Brynn stand schweigend im flackernden Schein der Fackel und sah ihn an. Natürlich waren sie dies alles längst durchgegangen, nachdem Pagonel und Pechter Dan Turk mit der Nachricht von Bardohs wachsender Macht in Dharyan-Dharielle eingetroffen waren. Sie hatten noch die Verteidigung von Dharyan-Dharielle organisiert, anschließend waren Brynn und der Mystiker sofort aufgebrochen und zum Eingang des Pfades der sternenlosen Nacht geeilt. Die Verteidigung der Stadt hatten sie ihrem bewährten Berater Tanalk Grenk anvertraut, ebenso wie die Mobilmachung der to-gai-ruschen Reiter, auch wenn sie noch nicht recht wusste, wie sie diese Armee überhaupt einsetzen sollte.
»Ich bin zuversichtlich, dass wir unsere Stadt gegen Bardoh halten können«, erwiderte sie, auch wenn das eigentlich nicht die Frage des Mystikers beantwortete, denn eine Antwort darauf wusste sie nicht.
»Dein Volk hat seine Freiheit zurückerlangt, und es wäre schon eine umfassende Invasion der Behreneser nötig, um sie ihnen wieder zu nehmen«, pflichtete Pagonel ihr bei. »Im Übrigen glaube ich nicht, dass Yatol Bardoh derzeit gegen Dharyan-Dharielle marschieren wird. Und sollte er diesen Fehler tatsächlich begehen, nun, dann wird sich eben ganz To-gai gegen ihn erheben. Das weiß er. Er hat zu viel zu verlieren, zumal sein eigentliches Ziel im Osten, an der Küste, liegt. Wenn du wirklich, wie im Waffenstillstandsabkommen angedeutet, Yatol Mado Wadon zu Hilfe eilen willst – was auf lange Sicht gesehen gewiss den größeren Nutzen für dein Volk verspricht –, dann wirst du Pherol brauchen«, schloss der Mystiker.
»Auf lange Sicht?«
»Du wirst kaum bestreiten können, dass Tohen Bardoh sein Augenmerk schon sehr bald auf Dharyan-Dharielle richten wird, wenn er erst einmal in Jacintha gesiegt hat.«
Brynn machte Anstalten, etwas zu erwidern, wollte widersprechen, behielt ihre Entgegnung dann aber doch für sich. Pagonel hatte ja Recht. Natürlich hatte er Recht, und so ungern sie es zugab, das Leid, das Pherol schon bald wieder über das Land bringen mochte, würde geradezu verblassen angesichts der Tragödie, diesem Widerling Tohen Bardoh die Herrschaft über Behren zu überlassen und ihm zu erlauben, das Königreich seinen imperialistischen Vorstellungen entsprechend zu einen.
Entschlossen lief sie weiter und ermahnte sich, dass ihre Zeit allmählich knapp wurde. Nach allem, was sie wusste, konnte der Kampf um Jacintha bereits voll entbrannt
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