Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
sich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf den peinigenden Schmerz der Pfeilwunde und das von allen Seiten näher rückende Flammenmeer …
Auf einmal war sie wieder draußen auf dem Wasser und lief schwankend auf die fernen Schiffe zu. Plötzlich spürte sie erneut die alles betäubende Kälte – es dauerte mehrere Augenblicke, bis sie begriff, dass ihre Konzentration nachgelassen hatte und sie sich nicht mehr auf, sondern bereits halb unter Wasser befand.
Auch eilte sie längst nicht mehr Prinz Midalis und ihren Freunden hinterher, sondern wurde zu dem felsigen Eiland zurückgetrieben.
Rings um sie war nichts als Dunkelheit und Kälte, und sie hatte keine Energie mehr, die sie in die Steine hätte fließen lassen können. Aber der Schmerz in ihrer Seite hatte – auf wundersame Weise – aufgehört. Alles, was sie noch empfand, war … ein Gefühl allumfassenden Friedens, so als hätte sie jegliche Schmerzempfindung hinter sich gelassen.
15. Möglichkeiten
»Wir haben sie überrascht und ihnen einen empfindlichen Schlag versetzt«, wandte sich Pagonel an Brynn und die anderen Oberen von Dharyan-Dharielle, unmittelbar nachdem der Kurier Yatol De Hammans wieder gegangen war. Er hatte sie unter dem Schutz der Unterhändlerflagge aufgesucht und darauf bestanden, die Schlacht sei ein schreckliches Missverständnis gewesen: die Folge einer fehlerhaften Nachrichtenübermittlung zwischen Jacintha und Dharyan-Dharielle. Der Kurier hatte die Entschuldigungen der Yatols De Hamman und Mado Wadon und auch Abt Olins zum Ausdruck gebracht.
»Zu viele Soldaten De Hammans erinnern sich noch an die letzte Belagerung dieser Stadt«, erklärte der Mystiker.
»Das letzte Mal haben sie mehrere Wochen gebraucht, um ihre Toten zu begraben«, fügte Tanalk Grenk hinzu. »Und sollten sie jetzt tatsächlich wieder auf einen Angriff drängen, werden nicht mehr genug von ihnen übrig sein, um ihre stinkenden Leichen zu verscharren.« Die für ihn typische derbe Ausdrucksweise trug ihm das bestätigende Kopfnicken und sogar Beifall von den anderen Anwesenden im Raum ein.
Brynn warf Tanalk Grenk einen Blick zu, aus dem aufrichtige Bewunderung sprach. Während der letzten Monate hatte er zweifellos an Statur gewonnen und war zum Sprecher aller Krieger To-gais geworden. Sie vertraute ihm vollkommen und hatte ihn mit den wichtigsten und heikelsten Missionen betraut – stets in der absoluten Gewissheit, dass er bei der Erfüllung seiner Aufgaben selbst ihre kühnsten Erwartungen noch übertreffen würde. Brynn hatte Grenk und seine Truppen zum Landbruch beordert, um sicherzustellen, dass es entlang der Grenze keine Schwachstellen gab, die vom Gegner ausgenutzt werden konnten. Wie befohlen, hatte Grenk die Verteidigungsanlagen an jeder nur vorstellbaren Einfallsroute über den Landbruch ins zentrale und nördliche To-gai ausgebaut, gleichzeitig aber den Weitblick besessen, es nicht dabei bewenden zu lassen. Kaum hatten seine Kundschafter ihm berichtet, De Hamman sei nach Norden abgeschwenkt, hatte Grenk eine Truppe aus berittenen Elitekriegern aufgestellt. Als De Hamman schließlich angriff, war Grenks Kavallerie exakt im richtigen Augenblick und genau am rechten Ort zur Stelle gewesen.
Außerdem hatte Grenk unter Zuhilfenahme der von den To-gai-ru schon vor längerer Zeit vervollkommneten Sonnenreflektoren eine Nachrichtenverbindung eingerichtet und war derzeit damit befasst, die Ankunft einer weiteren Unterabteilung in die Wege zu leiten, einer Streitmacht, die bereitstand, um erneut De Hammans Flanke anzugreifen, sollte dieser einen neuerlichen Angriff unternehmen. Es war ein gewagter, vielleicht sogar tollkühner Schachzug, denn mit einer Verlegung großer Teile der to-gaischen Truppen so weit hinauf nach Norden hatte der Kriegerführer ihre südliche Flanke weitgehend entblößt.
Dennoch war Brynn mit seinen Überlegungen einverstanden, insbesondere, nachdem er ihr versichert hatte, er habe zahlreiche Kundschafter in die südlich gelegene Wüste entsandt. Soweit er dies beurteilen könne, sei De Hammans Armee die einzige organisierte behrenesische Streitmacht in der gesamten Region.
»Ihr Eingeständnis, Abt Olin sei persönlich in diesen Truppenaufmarsch verwickelt, lässt nichts Gutes erahnen«, bemerkte Brynn. »Vor allem dann nicht, wenn man die Hinweise unseres Gastes Lozan Duk berücksichtigt. Es hat ganz den Anschein, als habe König Aydrian aus dem Bärenreich ein Auge auf die Länder jenseits seiner Grenzen geworfen.
Weitere Kostenlose Bücher