Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
Segelwetter verhieß.
Pony kniff die Augen gegen Wind und Regen zusammen und konnte in der Ferne den Feuerschein eines Bauernhauses erkennen. Sie machte ihre Gefährten darauf aufmerksam, und kurz darauf traten die Freunde in das trockene und behagliche Dunkel der dazugehörigen Scheune. Bradwarden blieb an der Tür und blies weiter auf seinen Flöten, um Belli’mar Juraviel auf sich aufmerksam zu machen. Pony hatte ihn auf einem ihrer Erkundungsflüge mit Hilfe des Seelensteins gesehen, und der Elf hatte ihre Gegenwart gespürt und sie geheißen, in diesem Küstenstreifen an Land zu gehen. Jetzt konnte sie nur hoffen, dass Juraviel Bradwardens Lied auch hörte.
»Wir sollten uns noch vor dem Morgengrauen auf den Weg machen«, sagte Prinz Midalis und ließ seinen regendurchtränkten Umhang von den Schultern gleiten. »Und, wo wir einmal an Land sind, die Gelegenheit nutzen, um Pireth Tulme zurückzuerobern.«
»Ihr würdet die Festung kaum halten können«, gab Andacanavar zu bedenken. »Die Armeen, die sie in Aydrians Namen erobert haben, stehen nicht weit von hier.«
»Wir nehmen sie ein und lassen sie unbemannt zurück«, fügte der Prinz erklärend hinzu.
»Als Hinweis an Aydrian, dass Ihr das Königreich noch nicht aufgegeben habt«, sagte Pony, ehe sie sich ebenfalls ihres Umhangs entledigte, ihr tropfnasses Har ausschüttelte und mit den Fingern hindurchfuhr.
»Richtig, und gleichzeitig als Zeichen an die Bewohner des Königreiches, dass sie noch auf eine Alternative zu diesem Thronräuber hoffen können«, erklärte Prinz Midalis. »Wir greifen Pireth Tulme an, nehmen es ein und jagen König Aydrians Marionetten davon, damit sie die Kunde der Niederlage im ganzen Land verbreiten. Soll Aydrian sie ruhig kampflos zurückerobern – die Peinlichkeit dieses Debakels wird dem hochnäsigen jungen Mann jedenfalls einen harten Schlag versetzen.«
Pony stellte lächelnd fest, dass sie uneingeschränkt derselben Ansicht war. Dies war genau die Art Chance, die sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit ergreifen mussten, genau jene Art Nadelstich, mit dem sie das Machtgefüge, mit dem Aydrian das Land zu überziehen drohte, zum Einsturz bringen konnten. Wie würde sich der Verlust Pireth Tulmes auf die Soldaten im Dienste des unrechtmäßigen Königs auswirken? Von ihren eigenen Erkundungen wusste Pony, dass die Festung gewaltsam eingenommen worden war und dass die in Pireth Tulme stationierten Soldaten der Küstenwache sich ebenso heftig gegen Aydrian zur Wehr gesetzt hatten wie die Truppen Pireth Dancards gegen den Angriff von Graf DePaunch.
Sie hatten das Gespräch noch nicht wieder aufgenommen, als Bradwarden sein Flötenspiel unterbrach, um eine zierliche Gestalt, die im offenen Scheunentor auftauchte, herzlich zu begrüßen.
Belli’mar Juraviel trat mit einem freundlichen Lächeln in die Scheune, und Bradwarden schloss hinter ihm das Tor. Sofort entzündete Pony mit ihrem Rubin den kleinen Stapel Feuerholz, den sie zusammengetragen hatten.
»Es tut gut, wieder bei Euch zu sein, meine Freunde«, begrüßte Juraviel sie und reichte Andacanavar, Bradwarden und Midalis die Hand, ehe er und Pony sich umarmten. »Ich bringe Euch Nachrichten aus dem Land südlich des Gebirges, aber auch aus Eurem eigenen Königreich.«
»Dann haben sich unsere Hoffnungen also erfüllt, und Brynn hat einem Bündnis zugestimmt?«, fragte Prinz Midalis.
»Brynn fürchtet Aydrian und die Abellikaner«, erwiderte Juraviel. »Meiner Meinung nach haben sie sich mit dem Angriff auf Brynns Stadt übernommen. Sie bereitet derzeit einen Ausfall vor, um gegen Jacintha zu marschieren – mit keinem geringeren Ziel, als Abt Olin aus Behren zu vertreiben.«
Der Elf wartete einen Moment, doch niemand sagte etwas. Die unausgesprochene Frage stand deutlich genug im Raum.
»Brynn würde Prinz Midalis’ Unterstützung sehr begrüßen«, bestätigte Juraviel schließlich. »Über Jacintha und Behren hinaus wird sie gewiss nur eine bescheidene Rolle spielen können, aber wenn sie dort unten zur Vertreibung Abt Olins beitragen und helfen kann, Aydrian eine herbe Niederlage beizubringen, wäre das gewiss keine Kleinigkeit.«
Pony seufzte. Insgeheim hatte sie sich mehr erhofft, hatte gehofft, Juraviel würde ihnen ausrichten, To-gai sei bereit, bis nach Entel im Norden zu segeln und dort für Prinz Midalis’ Sache zu kämpfen. Im Grunde sah sie aber ein, dass das wohl zu viel verlangt wäre.
»Keine Kleinigkeit, das möchte ich meinen!«,
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