Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
sollte. Was ihn hoffnungsvoll stimmte, war, dass sich so viele Ordensbrüder von St. Precious bereit gefunden hatten, Bischof Braumin zu helfen, obwohl sie ganz genau wussten, dass sie damit ihr Leben in größte Gefahr brachten. Marcalo De’Unnero war gewiss nicht der Mann, der so etwas verzieh.
Doch Roger hatte sie gedrängt, hatte Druck ausgeübt, hatte sich bei zahllosen Gelegenheiten mit Hoyet und Destou getroffen und sie immer wieder angestachelt. Er hatte ihnen von Braumins eigenen bescheidenen Anfängen als Revolutionär an der Seite von Viscenti, Bruder Castinagis und anderen erzählt, die sich vor vielen Jahren heimlich mit Meister Jojonah im Herzen der Abtei St. Mere-Abelle versammelt hatten – damals eine Hochburg des ehrwürdigen Vaters Markwart –, um die Flamme der Hoffnung, die Avelyn Desbris verkörperte, am Brennen zu halten. Den damaligen Ordensbrüdern hatten ganz ähnliche Strafen gedroht, trotzdem waren sie der Stimme ihres Gewissens gefolgt und den Geboten ihres Ordens treu geblieben. Manche, wie Jojonah, der auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war, hatten einen hohen Preis dafür bezahlt. Aber sie alle hatten diesen Preis ihrem reinen Gewissen zuliebe akzeptiert.
Ebenso verhielt er sich jetzt mit Hoyet und Destou und den neun anderen, die bei der Organisation dieses Fluchtversuchs geholfen hatten. Sie taten es aus Liebe zu Braumin und im Vertrauen auf Roger.
»Ich werde sie nicht im Stich lassen«, murmelte er leise, als er sich an der Mauer entlangbewegte, die Chasewind Manor umgab. Es war ein Leichtes für ihn, die Mauer zu übersteigen und sich im Dunkel des hinter dem Wohnhaus liegenden Innenhofs auf den Boden gleiten zu lassen.
Wie erwartet und von Bruder Hoyet arrangiert, erblickte er nicht weit entfernt die Umrisse eines Mannes.
Elbryan wäre nicht so vorgegangen, konnte Roger nicht umhin, sich vorzuwerfen. Elbryan wäre allein gekommen, um Braumin Herde zu befreien, und hätte, wenn es sein musste, eine Schneise aus erschlagenen Feinden hinter sich zurückgelassen. Roger wusste, dass er mit seiner Bitte um Hilfe ein Dutzend Männer in höchste Bedrängnis gebracht hatte.
Er sah jedoch nicht, wie sich das hätte vermeiden lassen. Er war ein ganz brauchbarer Kämpfer, aber gewiss kein ernst zu nehmender Gegner für einen gut trainierten, zwanzig Jahre jüngeren Soldaten. Und erst recht nicht für einen Ritter der Allhearts.
Und von beiden wimmelte es hier nur so. Selbst von seinem Platz im Schatten hinter dem Haus konnte Roger die Männer drinnen hören – es waren größtenteils Soldaten. Außerdem hatte er die Wachen am Tor gesehen sowie zusätzliche Posten, die trotz der späten Stunde in mehreren Gruppen um die Umgrenzungsmauer marschierten.
»He, Moment mal, nach Sonnenuntergang kommt hier keiner mehr rein«, erklang eine ältliche Stimme, als sich die dünne Gestalt Roger näherte. »Und schon gar nicht über die Mauer, sondern wenn schon durchs Tor, und zwar nachdem man sich ordnungsgemäß angemeldet hat.«
Die Stimme passte, ebenso wie der ruhige Ton und seine Art zu sprechen. »Illthin?«, rief Roger leise und ging augenblicklich in die Hocke, als ganz in der Nähe das Geräusch vorbeimarschierender Soldaten ertönte.
»Komm her, Nichtsnutz«, wandte sich die Silhouette, die tatsächlich dem alten Illthin gehörte, an Roger und schmiss ihm eine Schaufel vor die Füße. »Ich hab Allheart Desenz gesagt, bis zum Morgengrauen müsste ich den Baum hier gefällt haben – und hab keine Lust, mir eine Standpauke anzuhören, bloß weil ein Kerl, halb so alt wie ich, nicht lang genug die Augen offen halten kann, um ein paar Wurzeln auszugraben.«
»Gibt es hier irgendein Problem?«, rief plötzlich jemand. Der Anführer der Patrouille kam zu Roger und Illthin herüber und musterte die beiden argwöhnisch.
»Höchstens, weil der Bursche, den ich eingestellt habe, das Geld nicht wert ist, das ich ihm zahle!«, knurrte Illthin. »Was meint Ihr, könnt Ihr ihm vielleicht ein paar Hiebe überziehen, Soldat?«
Der Patrouillenführer betrachtete Roger angewidert und machte Anstalten, nach einem an seinem Gürtel befestigten Schlagstock zu greifen.
»Moment! So wartet doch!«, flehte Roger und hob abwehrend die Hände. »Ich war überhaupt nicht eingenickt. Nein, ich … ich musste …« Er sah sich um, schaute zum Mauersockel und zupfte kurz an seinem Hosenbund, wie um ihn zurechtzurücken.
»Die ganze Aufregung, nur weil der Mann pissen war?«, schnauzte der Soldat
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