Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
die Strömung erreicht und wurde von ihr so rasch mitgerissen, dass die Raubkatze keine Chance hatte, es noch einzuholen.
Braumin war frei.
Trotzdem fühlte er sich in der Falle, als er zum Westufer des Flusses zurückblickte und sich vorstellte, wie sich das Wasser von Hoyets und Destous Blut rot verfärbte. Er sah die zerfetzten Leichen der beiden treuen Männer vor seinem inneren Auge auf dem Fluss dahintreiben.
In dieser Nacht waren einige Männer für ihn gestorben.
Bischof Braumin hätte sich am liebsten aus dem Boot ins Wasser gestürzt und sich dem Fluss überlassen.
Ein Teil von ihm aber weigerte sich strikt, das heldenmütige Opfer, das diese beiden tapferen Männer gebracht hatten, zu entwerten. Sie hatten ihn befreit, weil sie wussten, dass er als König Aydrians Gefangener, ohne es zu wollen, der gerechten Sache zuwiderhandelte. Als Gefangener war Braumin das Sprachrohr eines unrechtmäßigen Königs, als freier Mann dagegen konnte er sich öffentlich gegen diesen betrügerischen König aussprechen und dazu beitragen, Männer für die Ziele von Prinz Midalis zu gewinnen.
Verstandesmäßig war Braumin das alles vollkommen klar. Er hoffte nur, falls er jemals selbst mit einer ähnlichen Situation konfrontiert werden sollte, denselben Mut aufzubringen und sich ebenso tapfer zu verhalten wie Roger, Hoyet und Destou und all die anderen in dieser Nacht.
Aber das machte es nicht weniger schmerzlich. Über dem Rand des Bootes hängend, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, sich ins Innere zu ziehen, obwohl längst ein taubes Gefühl seinen Körper hinaufkroch, senkte der einstige Bischof von Palmaris den Kopf und ließ seinen Tränen freien Lauf.
4. Späte Vorwürfe
»Yatol Wadon! Dank der weisen Fügung des großen Chezru dürfen wir uns glücklich schätzen, die Herrschaft über die Stadt Jacintha in dieser schweren Stunde in Euren Händen zu wissen!«, verkündete Yatol De Hamman überschwänglich, als er applaudierend den großen Audienzsaal von Chom Deiru durchquerte, offenbar kaum fähig, seine Begeisterung zu zügeln.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Saales, auf dem normalerweise dem Chezru-Häuptling Behrens vorbehaltenen Thron, saß Yatol Mado Wadon und machte ein überaus verdrießliches Gesicht. Der alte heilige Mann saß vornübergebeugt da, den faltigen Kopf in die Hand gestützt und den starren Blick eher nach unten gerichtet als auf den überschwänglich gestikulierenden Mann, der auf ihn zugelaufen kam.
Die Nachricht von Yatol Peridans Kapitulation und der vernichtenden Niederlage seiner Truppen hatte Yatol De Hamman in einen solchen Zustand der Erregung versetzt, dass er Mado Wadons Gesichtsausdruck nicht einmal bemerkte. »Ich kenne einen höchst vielversprechenden jungen Mann, der bereit wäre, in Peridans Fußstapfen zu treten – natürlich erst, wenn wir den Schurken hingerichtet haben«, fügte er hinzu und verlangsamte seine Schritte, als er sich dem erhöhten Podium näherte, das den Thron der Kirche Chezrus trug und damit auch den Thron Behrens. Erst jetzt bemerkte er eine weitere, etwas abseits stehende Person, Abt Olin aus Entel. Flankiert von Soldaten des Bärenreiches, wirkte dieser über De Hammans Verhalten fast ein wenig amüsiert. Sein befremdlicher Gesichtsausdruck ließ in Verbindung mit der Miene, die De Hamman im selben Moment bei dem Yatol von Jacintha gewahrte, bei dem aufgeregten Mann sämtliche Alarmglocken erklingen.
»Es ist nicht erforderlich, dass Ihr Euch um einen Ersatz für Yatol Peridan bemüht«, erklärte Abt Olin in tadellosem Behrenesisch – und mit einem Akzent, der sich für einen Mann ziemte, der sein Leben größtenteils in Jacintha und nicht in Entel verbracht hatte. Die Hände in den weiten Ärmeln seines braunen Gewandes unsichtbar vor dem Körper gefaltet, trat Abt Olin vor und stellte sich neben De Hamman.
»Wir werden gewiss nicht zulassen, dass er weiter die Regierungsgeschäfte führt«, erwiderte De Hamman mit einem Blick auf Yatol Wadon. »Man kann dem Mann nicht trauen.«
»Seid unbesorgt. Yatol Peridan wird einer angemessenen Bestrafung zugeführt werden«, erklärte Abt Olin. »Und nein, man wird ihm nicht erlauben, seine Regierungsgeschäfte in irgendeiner Weise fortzuführen. Sollte er mit dem Leben davonkommen, wird er den Rest seiner Tage hier in Chom Deiru verbringen – unter den wachsamen Augen Yatol Wadons und der Palastwache.«
Was Yatol De Hamman verwirrte, war weniger die Argumentation selbst als vielmehr
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