Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
zwingen.« Seine letzten Worte, ehe Pechter Dan Turk außer Hörweite war, trafen den Berater besonders hart: »Vielleicht können wir den Drachen von To-gai dazu bringen, gegen jeden Krieg zu führen, der dumm genug ist, sich den Veränderungen zu widersetzen, zu denen es in Behren, wie wir wissen, zwangsläufig kommen wird.«
Im Gästetrakt des Palastes Chom Deiru war es an diesem Abend still – ganz im Gegensatz zu der ausgelassenen Feier einer Gruppe siegreicher Yatols und Kriegsherren der Chezhou-Lei, die in den weiter unten gelegenen Festsälen stattfand. Eigentlich hätte Pechter Dan dort mitten unter den Zechern sein sollen, jedenfalls gewiss nicht hier.
Unbeirrt setzte er seinen Weg fort. Er hatte seine Sandalen ausgezogen und trug sie in der Hand, um so wenig Lärm wie möglich zu erzeugen. Zum Glück waren nur wenige Wachen in der Nähe, und zu seinem noch größeren Glück bewahrte Yatol Wadon in einem der Arbeitszimmer einen Bund mit Ersatzschlüsseln für jeden Raum auf – einem Arbeitszimmer, zu dem Pechter Dan Turk jederzeit Zutritt hatte.
Nervös blieb er vor Abt Olins Gastgemach stehen und blickte nach beiden Seiten in den stillen, dunklen Flur. Er holte einmal tief Luft, betete, dass der abellikanische Magier den Eingang nicht mit irgendeinem rätselhaften Edelsteinzauber belegt hatte, drehte dann den Schlüssel langsam herum und schlüpfte in das abgedunkelte Zimmer. Er kramte in seiner Tasche, holte eine Kerze mitsamt Feuerstein hervor, dann begab er sich, das Licht mit seiner freien Hand schützend, zu dem großen Schreibtisch gegenüber der Tür.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann hatte er einen unversiegelten, an König Aydrian adressierten Brief gefunden. Mit zitternden Händen strich Pechter Dan Turk das Schriftstück auf dem Schreibtisch glatt. Obwohl er in allen bekannten Sprachen einigermaßen bewandert war, ließ sich Olins Gekritzel zunächst nur schwer entziffern.
Je deutlicher sich die Einzelheiten und der Sinn des Briefes herausschälten, desto stärker wurde Pechter Dan Turks Zittern. Er sah seine ärgsten Befürchtungen bestätigt. Kein Wort davon, Abt Olin wolle Yatol Wadon und den Chezru helfen vielmehr deutete dieser an, die Chezru seien jetzt bereit, die Wahrheit der abellikanischen Kirche zu empfangen, und ließ durchblicken, es sei an der Zeit, sie in ihrem Glauben zu erschüttern und den Geboten ebendieser Kirche zu unterwerfen.
Pechter Dan Turk fuhr sich mit der Hand an die Wange, zitterte aber mittlerweile so heftig, dass er sich dabei fast selbst ins Gesicht geschlagen hätte. Er las den Brief, soweit er ihn entziffern konnte, noch einmal von Anfang bis Ende durch, aber offenbar war ihm beim ersten Überfliegen der fremden Worte kein Missverständnis unterlaufen, das sein Unbehagen hätte lindern können.
Abt Olin war nicht als Freund gekommen, sondern um die gegenwärtige Lage zu seinem Vorteil auszunutzen.
Noch immer am ganzen Leib zitternd, überlegte er sich seinen nächsten Schritt. Er könnte diesen Brief Yatol Wadon aushändigen und den Verrat auffliegen lassen …
Er verwarf den Gedanken aber rasch wieder, denn im Grunde seines Herzens kannte Pechter Dan Turk die Wahrheit.
Yatol Wadon würde keineswegs überrascht sein, denn er war selbst Teil des Komplotts.
Er verließ das Zimmer in einem derart überreizten Zustand, dass er die Kerze auf dem Schreibtisch zurückließ und sogar vergaß, die Tür wieder zu verschließen. Er verzichtete darauf, in den Festsaal zurückzukehren, wo man ihn vermutlich längst erwartete, sondern verließ den Palast, um ein wenig durch die Straßen zu schlendern, wo die Feierlichkeiten nach dem Sieg über Yatol Bardoh in einen allgemeinen Taumel übergegangen waren.
Sieg? Pechter Dan Turk hatte seine Zweifel. Konnte man den Einmarsch der Abellikaner an der Spitze einer Armee des Bärenreiches wirklich als Sieg bezeichnen?
Nachdem er sich einen Wagen, ein Pferd und Vorräte für die Reise besorgt hatte, verließ er die Stadt Jacintha. Er hielt sich auf der Nordstraße in westlicher Richtung; sein Ziel war die Oase Dahdah und im Anschluss daran die Stadt Dharyan-Dharielle. Was er dort zu erreichen hoffte, wusste er nicht.
Er wusste nur, dass er diesen Ort, der nicht mehr sein Zuhause war, weit hinter sich lassen musste.
5. Auf der Jagd nach Ruhm
Bruder Stimson von der Kapelle Aubeard war aufgrund seiner absoluten Loyalität gegenüber den Zielen De’Unneros und wegen seiner ausgeprägten Fertigkeiten mit den
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