Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
Andur’Blough Inninness lag. Jetzt, um die Mittagszeit, war die Luft noch frisch und kühl, und am Himmel strahlte die Sonne. Alles schien durchdrungen von einer solchen Friedlichkeit und Ruhe, als wäre die Zeit stehen geblieben.
Doch der Schein trog, denn die beiden Elfen wussten, dass Aydrians Armee rasch näher rückte.
»Er kommt unaufhaltsam auf uns zu«, sagte Dasslerond.
Wie er sie so betrachtete, die Augen vor Konzentration geschlossen, ihren grünen Edelstein fest in der Hand, wusste Juraviel, dass sie die Wahrheit sagte. Aber er wusste es ohnehin, denn den ganzen Vormittag über waren Kundschafter zurückgekehrt, aus deren Berichten sich nach und nach immer eindeutiger herauskristallisiert hatte, dass der Abstand zwischen Aydrians Armee und Andur’Blough Inninness rasch zusammenschmolz.
»Ich habe den Schützen Befehl gegeben, sich vor den Menschen zurückzuziehen«, unterrichtete Juraviel seine Herrin.
Dasslerond musterte ihn aus den Winkeln ihrer verblüffend goldenen Augen. »Es war stets die Verteidigungsstrategie der Touel’alfar, einen anrückenden Feind aus dem Verborgenen heraus zu attackieren«, erwiderte sie. »Um unsere Feinde an Leib und Seele zu verletzen, in der Hoffnung, sie von ihrem törichten Vorhaben abzubringen.«
»Wir können Aydrian nicht an den Flanken angreifen«, erklärte Juraviel. »Seit dem offenen Gefecht in dem Wäldchen haben wir sie fast ununterbrochen attackiert, aber er hat unsere Schützen stets aufgespürt und diese Information an seine Soldaten weitergegeben – oder er greift sie gleich mit Hilfe seiner magischen Kräfte an. Wir vermissen bereits zwanzig unserer Leute, Mylady, und ich fürchte, die meisten sind entweder tot oder in Gefangenschaft geraten.«
Angesichts dieser niederschmetternden Nachricht schloss Dasslerond die Augen. In der von Menschen beherrschten Welt waren die Touel’alfar ein nicht eben vielköpfiges Volk, und ein so hoher Verlust in ihren Reihen war nicht einfach zu verkraften.
»Ihr schlagt also vor, wir sollten uns in unser Tal zurückziehen und es im Nebel des Smaragds verbergen«, sagte Dasslerond.
»Und zwar unverzüglich, Mylady.«
»Aydrian hat eine Gefangene gemacht«, klärte Dasslerond ihn auf. »Das hat mir der Smaragd unseres Volkes gezeigt. Im Augenblick durchkämmt er ihre Gedanken mit Hilfe seines Seelensteins, sodass sie gar nicht anders kann, als ihn gegen ihren Willen zu uns zu führen.«
»Wenn es sich tatsächlich so verhält, könntet Ihr Andur’Blough Inninness sogar vor ihr verbergen«, überlegte Juraviel. »Wir werden sie wohl aufgeben müssen.«
Wieder traf ihn der kalte, unnachgiebige Blick aus Lady Dassleronds Augenwinkeln. Einen Moment lang erschien sie Juraviel größer und furchterregender als je zuvor, doch der Augenblick ging vorüber, und zurück blieb eine erschöpft wirkende Lady Dasslerond, die Juraviels Glauben an sie erschütterte, noch ehe sie gestand: »Das kann ich nicht.«
Juraviels hoffnungsvoller Blick schlug um in Verwirrung.
»Unsere gefangene Stammesgenossin würde nichts anderes von Euch verlangen!«, widersprach er.
»Ich könnte sie natürlich ihrem Schicksal überlassen, auch wenn mir das sehr schwer fallen würde«, wurde Dasslerond deutlicher. »Aber selbst dann könnte ich unser Tal nicht vor Aydrian verbergen.«
Kaum eine Bemerkung hätte Juraviel in diesem Moment härter treffen können.
»Aydrian wird mich bis ins Reich der Magie verfolgen«, erklärte Lady Dasslerond. »Er verfügt über stärkere Kräfte als ich. Womit ich ihn auch einzufangen versuche, er würde sich sofort daraus befreien. Es wäre unsinnig, darauf zu hoffen, dass wir uns gegen ihn wehren können.«
»Dann sind wir verloren«, sagte Juraviel. »Oder zumindest Andur’Blough Inninness. Wir haben gegen ihn nicht den Hauch einer Chance.«
»Gebt mir Eure Hand«, forderte Lady Dasslerond ihn auf, und nach einem kurzen Moment der Verwirrung kam Juraviel ihrer Bitte nach.
Lady Dasslerond griff mit der Rechten an ihre Hüfte und zog einen kleinen Dolch aus ihrem Gürtel. Sie streckte die Hand vor und brachte ihm einen Schnitt quer über die Handfläche bei. Juraviel zuckte leicht zusammen, zog seine Hand aber nicht zurück.
Dann schob Lady Dasslerond ihre Linke vor, öffnete sie mit der Handfläche nach oben und ließ den kostbaren Smaragd auf ihre Finger rollen. Ohne mit der Wimper zu zucken, schnitt sie sich in den Handteller, dann ließ sie den Smaragd über die Wunde hinweg in ihre Handfläche
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