Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
Falle Glendenhooks und König Danube beziehungsweise jetzt König Aydrian in Kalas’ Fall. Sie waren die Generäle ihrer jeweiligen Armeen, Glendenhook in Diensten der Kirche, Kalas in Diensten der Krone. Nie hatte es Missstimmungen zwischen ihnen gegeben, zumindest hatte Glendenhook nichts dergleichen bemerkt. Hatte Kalas diesen Brief der Armee vorausgeschickt, um Glendenhook Gelegenheit zu geben, seinen Bischofsstab zu nehmen und nach St. Mere-Abelle zu fliehen? Nach allem, was man hörte, waren die Straßen zur Mutterabtei derzeit frei von Soldaten.
»Was wollt Ihr nur von mir, Herzog Kalas?«, sagte der Abt leise, wie zu sich selbst.
»Er muss wissen, dass wir die Tore der Abtei unmöglich einem König öffnen können, der derartige Veränderungen in der abellikanischen Kirche fordert«, erklärte Meister Belasarus.
Glendenhook hob den Blick und sah ihn an.
»Herzog Kalas muss sich darüber im Klaren sein, dass wir die Herrschaft eines Marcalo De’Unnero niemals dulden werden – und zwar keiner von uns«, wurde der Meister deutlicher. »Und auch nicht die eines Abtes Olin, es sei denn, er erlangt die von ihm so begehrte Stellung entsprechend unseren Regeln während eines Abtkollegiums.«
»Wo steckt Olin überhaupt?«, fragte Glendenhook. »Hält er sich noch immer in Behren auf?«
»Nach allem, was man hört.«
An der Tür zu Glendenhooks Arbeitszimmer klopfte es leise. Der Abt gab Belasarus einen Wink, dieser ging an die Tür und öffnete sie weit, um Oberin Treisa hereinzulassen, die Frau mit dem höchsten Rang in der Abtei und eine mögliche Nachfolgerin Glendenhooks. Vor dem Sturm namens Aydrian, der den Himmel über dem Bärenreich verdunkelte, waren Gerüchte im Umlauf gewesen, der ehrwürdige Vater Fio Bou-raiy wolle Glendenhook auf einen anderen Posten versetzen, vielleicht sogar auf den des Abtes von St. Honce in Ursal, um Oberin Treisa auf diesem Wege zu befördern und die Leitung von St. Gwendolyn wieder in die Hände einer Frau zu legen. Mit ihren knapp vierzig Jahren schien die anmutige Treisa durchaus geeignet, dieses ehrenvolle Amt zu übernehmen. Während ihrer Jahre in St. Gwendolyn hatte sie so manche Prüfung unbeschadet überstanden, unter anderem die Verheerungen durch die Rotfleckenpest und die Verirrungen Marcalo De’Unneros. Aus allem war sie mit Anstand und Würde hervorgegangen, zudem war sie von ihrer Pilgerreise zum Berg Aida, wo sie am Wunder Avelyns teilgehabt hatte, mit einer so tief empfundenen heiteren Gelassenheit zurückgekehrt, dass sie einen Raum nur zu betreten brauchte, um sofort ein Gefühl von Ruhe zu verströmen. In den letzten Jahren war sie Glendenhook eine große Hilfe gewesen, wodurch die beiden sich angeblich näher gekommen waren, als dies für einen Bruder und eine Schwester des Abellikaner-Ordens angemessen war.
Doch im Grunde interessierte sich niemand für derartige Gerüchte, und viele hofften sogar, sie seien wahr. Denn nach Meinung aller, Glendenhook eingeschlossen, war er durch Oberin Treisa – aus welchem Grund auch immer – zu einem besseren und großherzigeren Abt geworden.
Abt Glendenhook erhob sich, als sie hereinkam, und begrüßte sie, trotz seiner denkbar schlechten Laune, mit einem herzlichen Lächeln.
Ein Lächeln, das die Oberin nicht erwiderte. »Herzog Kalas wird in zwei Tagen hier eintreffen«, erklärte sie. »Seine Armee wurde bereits südlich von hier gesichtet. Sie marschiert schnell und stößt nirgendwo auf Widerstand.«
»Sie werden noch zwei Dörfer durchqueren müssen, und die zu sichern könnte sie aufhalten«, sagte Meister Belasarus.
»Darauf würde ich mich nicht verlassen«, erwiderte Treisa. »Seine Armee ist unterwegs stark angewachsen. Allen Berichten zufolge hatte er Palmaris mit gerade mal ein paar tausend Mann verlassen.«
»Und wie groß ist seine Streitmacht nach den jüngsten Schätzungen?«, erkundigte sich Glendenhook.
»Etwa zwanzigtausend Mann, womöglich mehr.«
Die Schwindel erregende Zahl ließ Glendenhook zusammenzucken.
»Sämtliche Ortschaften scharen sich um König Aydrian«, erläuterte Treisa. »Die männliche Bevölkerung kann es offenbar gar nicht erwarten, sich Herzog Kalas’ Triumphmarsch anzuschließen.«
»Ein Marsch, der ihn zweifellos bis vor die Tore von St. Mere-Abelle führen wird«, fügte Belasarus düster hinzu.
»Zwanzigtausend«, echote Glendenhook leise.
»Womöglich mehr«, wiederholte Treisa. »Es gibt Gerüchte über eine zweite Streitmacht, die nordwestlich von
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