Schattenengel (Contoli-Heinzgen-Krimi)
ihres Bruders zu fühlen, dennoch wunderte sich Anke, dass die Männer derart grob mit ihr verfuhren.
Als wäre sie Zuschauer eines Tischtennismatches bewegte Anke ihren Kopf hin und her. Nicht eine Sekunde löste sie ihre Augen von Fabio Koll, der vor ihnen hin und her tigerte und stur seinen Blick auf die von seinen Männern eingefangene Überraschung hielt.
„ Wo habt ihr sie aufgetrieben?« Er drehte sich leicht zu einem seiner Untergebenen.
„ Im Feld«, antwortete dieser.
„ Bitte?«
Das Erstaunen seines Bosses schien ihn zu amüsieren.
„ Wie ich schon sagte, im Kornfeld. Dort haben sie sich versteckt, sind allerdings zu ihrem Leidwesen zu spät in die Hocke gegangen«, grinste der Handlanger. »Oder wir waren zu schnell.«
Anke, die diesem Menschen einen raschen Blick zuwarf, ekelte sich vor seinen widerlich gelben Zähnen. Sie waren farbintensiver als seine strähnigen blonden Haare.
„ So, so, im Kronfeld«, murmelte Fabio Koll.
Kurz blinkte vor Anke das Bild auf, wie sie erst neulich mit ihm und seiner Mutter, die sie vermeintlich für eine Vogelscheuche gehalten, in diesem Feld gestanden hatte. Jetzt strahlte Kolls Gesicht unverhohlene Wut aus. In seinen Augen las Anke ein irrationales aggressives Rasen, das durch ein einziges falsches Wort Gewalttätigkeit auslösen konnte. Der gefährliche, bald explodierende Zorn in seiner Stimme ließ Anke mit einem Schlag seine dunklen Seiten erahnen. Wie eine Flutwelle strömten die Bilder der Liebesszene durch ihren Kopf. Mit diesem finsteren Mann war sie in einen bizarren Traum geraten. Wie war das möglich gewesen?
Die Schamröte schoss ihr ins Gesicht. Jetzt standen sie, Wolf und Laura vor dem Lauf seiner Waffe wie zur Hinrichtung nebeneinander an der Wand. Das Vorgefühl eines tragischen Ausgangs senkte sich wie ein Bleisack über sie. Bestürzt starrte Anke den Mann an, dem sie beinahe ihren Körper geschenkt hätte. Fabios anzüglicher Blick brannte auf ihrer Haut. Ohne zu wollen, ließ sie einige Sekunden das in ihr aufsteigende Bild zu, wie er in schier endlosem Verlangen seinen Körper gegen ihren gepresst hatte. Fast im gleichen Moment des gedanklichen Rückblicks breitete sich in Anke das Überlegenheitsgefühl einer begehrten Frau aus. Und dieses Gefühl trug sie eine Weile. Sie glaubte sich unverwundbar und holte Luft. Klar, sie hatte keine Beweise. Es waren lediglich aus weiblicher Intuition entsprungene Vermutungen und nur eine Eingebung, der sie folgte.
„ Herr Koll, begann sie, „Sie haben doch Ihren Geschäftspartner und Freund der Familie, Klaus Nett, getötet, umgebracht, auf dem Gewissen?«
Er hält die Luft an, immer noch, immer noch ...
Mit hochgezogener Stirn und weiten Augen schaute Anke auf den vermeintlichen Mörder und erhielt als Reaktion von ihm nur ein leichtes Mundwinkelzucken. Außerhalb ihres Gesichtsfeldes hielten Wolf und Laura den Atem an. Auch Fabio und seine Handlanger rührten sich nicht. Anke wagte noch immer nicht, durchzuatmen und wunderte sich, als Fabio auf einmal grinste, als hätte er einen hübschen Einfall auf ihre Anschuldigung.
„ Umgebracht? Nicht dass ich wüsste. Aber jetzt, nach diesem Vorfall ist er auf jeden Fall schon so tot wie sein Schwanz.«
Sein Schwanz?, durchzuckte es Anke. Was meint er damit?
„ Fabio«, stammelte Laura irritiert, „du hast doch gesagt, er ist verreist?«
Sie wagte sich bei den Worten einige Schritte vor, als gehöre sie nicht mehr zu den Gefangenen. Sofort herrschte Fabio seine Schwester mit frostiger Stimme an, nicht aus der Reihe zu tanzen.
Im wahrsten Sinne des Wortes.
„ Du willst uns doch nicht ...«, brachte Laura fast tonlos hervor und schluckte, „... mich doch wohl nicht umbringen?«
Anke beobachtete Laura, die einige Sekunden wie Lots Ehefrau zur Salzsäure erstarrt dastand, bevor sie mit glühenden Wangen und vor Entsetzen schimmernden Augen an die Wand zurückwankte. Angespannt fuhr Anke sich mit der Zunge über ihre trockenen Lippen und behielt Laura im Auge. Wahrscheinlich bei der Vorstellung, ihr Bruder könnte ihr Leben beenden, presste sie fassungslos eine Hand gegen ihren Magen. Hoffentlich übersteht sie das hier.
„ Er war kein Freund der Familie«, schrillte Laura ohne Vorwarnung zur Verblüffung aller los. „Er hat mir nachgestellt. Und später Paola. Er wollte immer ...!«
Weiter kam sie nicht. Fabio schrie ihr etwas auf italienisch zu, das Anke Halt den Mund, du dumme Gans , übersetzte. Die Empfindungslage in Laura
Weitere Kostenlose Bücher