Schattenengel (Contoli-Heinzgen-Krimi)
Hälfte ihre Runden an der Lounge auf einem braven Schulpferd drehte. Anke hatte sich nicht direkt an die Brüstung getraut, wo Sandra stand und ihrem Kind ehrfürchtig zusah.
Etwas später gingen die beiden Frauen zügig die asphaltierte Straße zurück, die sie eben entlang gefahren waren.
„ Hast du ein Ziel, Anke?«, wollte Sandra wissen und lachte dabei, als wäre ihre Vermutung ein reiner Scherz.
„ Das Haus da hinten ...«, Anke deutete über den Acker hinweg auf das Anwesen, „... interessiert mich.«
Bevor Sandra fragen konnte, warum?, erklärte Anke mit einem vielsagenden Blick. „Rein architektonisch.« Wolf hat sich seit gestern noch nicht wieder gemeldet hatte. Nur kurz verweilte sie bei ihm, bis andere Gedanken vorherrschten.
„ Sag mal Sandra, kannst du mir die Handynummer dieser kleinen Schauspielerin geben.«
„ Emira Baur?«
„ Genau die, die hat es wirklich drauf. Vielleicht kann sie mir ein Gespräch mit ihrer Schulfreundin vermitteln, dem letzten Opfer, wie hieß das noch ...«
„ Marianne Elser«, ergänzte Sandra.
„ Genau«, meinte Anke in einem Ton, als wäre ihr lediglich der Name entfallen, dabei hatte sie ihn komplett vergessen. Das wäre mir früher nicht passiert.
„ Marianne hat doch schon bei der Polizei eine Aussage gemacht.«
„ Ach Sandra.«
„ Okay, okay. Ich schick sie dir nachher. Ich hab sie im Büro.«
„ Ich finde«, versuchte Anke ihr Anliegen zu erklären, „in dieser KO-Tropfensache müsste bundesweit von politischer Seite mehr passieren. Vor allem, wenn du bedenkst, dass die Frauennotrufzentrale allein in Düsseldorf schon 2005 von einer tickenden Zeitbombe gesprochen hat.«
„ Ich weiß«, bemerkte Sandra, „seit zwei Jahren hat die Zahl der Opfer erheblich zugenommen.«
„ Bis zu vier neue Verdachtsfälle gibt es pro Woche zum Beispiel in Großstädten wie Köln.«
„ Und die Dunkelziffer ist hoch.«
„ Massive Prävention ist dringend geboten«, erregte sich Anke. „Ich muss da mehr tun.«
„ Du?« Sandra schüttelte den Kopf. „Manchmal hab ich den Eindruck, als wolltest du allein gegen den bösen Rest der Welt kämpfen und sämtlichen Übeltätern auf eigene Faust das Handwerk legen.«
„ Ganz so drastisch ist es ja nun auch wieder nicht. Aber apropos Übeltäter. Oft hat mich das Schicksal auf die richtige Fährte gesetzt, weil ich meinem Instinkt gefolgt bin. Selbst, wenn ich anfangs keinen Schimmer hatte, ob es sich lohnt und überhaupt etwas dahinter stecken könnte. Und stell dir vor, liebe Sandra ...«, Anke bedachte sie mit einem triumphierenden Blick, „es haben sich jedes Mal Erfolge eingestellt, die ich nie für möglich gehalten hätte.«
„ Für mich, liebe Anke, bist du so oder so eine supergute Journalistin.«
„ Danke für die Blumen.«
Derweil hatten sie den Einfahrtsweg zu dem versteckt liegenden Haus erreicht. Er glich eher einem breiteren ausgetretenen Trampelpfad. Damit er bei Regen nicht versank, war er mit Kies bedeckt und unter ihren Schuhen quieksten die Steinchen. Etliche Meter vor ihnen rollte ein Wagen aus der vom Trampelpfad abgehenden Hauseinfahrt auf den Weg ein. Die beiden Frauen sahen dem Fahrzeug entgegen, ehe sie sich an den Rand drängten, um es passieren zu lassen. Langsam fuhr der Wagen mit knirschenden Reifen an ihnen vorbei, ohne dass der Fahrer sie zu beachten schien. Anke erhaschte einen Blick ins Wageninnere. Das Gesicht des Mannes rührte etwas in ihr. In Sekundenabläufen vergegenwärtigte sie sich dieses Profil, versuchte, es einzuordnen, aber die Erleuchtung wollte nicht kommen. Auf dem Beifahrersitz saß ein blonder Teenager, den sie nicht kannte, die langen Haare zu einem dicken Zopf geflochten.
Nachdem der Wagen an ihnen vorbeigefahren war, gingen die beiden Frauen weiter. Linksseitig war der Weg von einem Weizenfeld und rechtsseitig von einem Betonzaun eingegrenzt, der bis zu den Ausläufern des dahinterliegenden Waldes führte. Zunächst wichen die beiden einige Male den vielen Pfützen aus, die sich in den Kiesschlaglöchern gebildet hatten, doch irgendwann begannen sie ausgelassen darüber zu springen, bis sie das Anwesen erreichten. Es lag in einer Senke und deshalb war von der Straße aus nur das Dach zu sehen gewesen. Sie folgten der leicht abschüssigen gepflasterten Einfahrt, die am Eingangsportal endete. Anke marschierte bis zu den Garagen zu ihrer linken. Von hier inspizierte sie die Hausfront des vor ihr liegenden Gebäudes, an das die modernen Garagen
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