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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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gearbeitetes Gewand inmitten all der Fuhrwerke, gefetteten Leinwände und planlos errichteten Ställe überaus lächerlich wirkte.
    »Kaum zu glauben, was?«, meinte Xinemus und bezog sich damit offenbar auf die überwältigende Anzahl von Inrithi.
    Achamian zuckte die Achseln. »Ja und nein… Ich war dabei, als Maithanet in der Hagerna den Heiligen Krieg erklärte. Manchmal frage ich mich, ob er die Menschen rings um die Drei Meere gerufen hat – oder ob sie ihn gerufen haben.«
    »Du warst in der Hagerna?«, fragte Xinemus. Seine Miene hatte sich verdüstert.
    »Ja.« Ich hab sogar deinen Tempelvorsteher getroffen…
    Xinemus schnaubte vernehmlich, wie er es oft tat, um Missbilligung auszudrücken. »Du bist am Zug, Akka.«
    Achamian musterte das Gesicht des Marschalls, doch der schien ganz in die Anordnung der Steine auf dem Spielbrett und in die Möglichkeiten, die in ihrer Konstellation steckten, vertieft. Achamian war zu der Partie bereit gewesen, weil sie so ihre Ruhe hatten und er dem Marschall würde berichten können, was in Sumna geschehen war, hatte aber vergessen, dass Benjuka ihnen alles andere als gut tat: Bei diesem Spiel gerieten sie sich jedes Mal wie Eunuchen in die Haare.
    Benjuka war eines der wenigen Dinge, die das Weltende überlebt hatten. Vor der Apokalypse hatte man es an den Höfen von Trysë, Atrithau und Mehtsonc weitgehend so gespielt wie heute in den Gärten von Carythusal, Nenciphon und Momemn. Doch nicht sein Alter machte Benjuka so einzigartig. Spiel und Leben sind einander ja oft beunruhigend nah, bei keinem Spiel aber ist diese Verwandtschaft offenkundiger und irritierender als beim Benjuka.
    Wie im Leben gelten auch im Spiel bestimmte Regeln. Doch anders als das Leben werden Spiele vollständig durch ihre Regeln definiert, ja die Regeln sind das Spiel, und wer nach anderen Regeln spielt, spielt einfach ein anderes Spiel. Da ein festes Regelwerk die Bedeutung eines jeden Spielzugs bestimmt, besitzen Spiele eine Klarheit, der gegenüber das Leben wie eine Schlägerei im Wirtshaus erscheint. Die Regeln sind unzweifelhaft, die Reihenfolge der Züge ist festgelegt – nur das Ergebnis ist ungewiss.
    Das Raffinierte an Benjuka war dagegen, dass es kein festes Regelwerk kannte. Statt eine unveränderliche Grundlage zu bieten, waren seine Regeln nur ein Zug innerhalb des Spiels – eine Art Spielfigur, wenn man so wollte. Genau das machte Benjuka zu einem so treuen Abbild des Lebens, zu einem so verblüffend komplizierten Spiel voll beinahe poetischer Feinheiten. Andere Spiele konnten als Abfolge verschiedener Konstellationen von Steinen beschrieben werden, Benjuka dagegen ließ ganze Geschichten entstehen, und was auch immer in diesen Geschichten waltete, waltete auch in dem, was die Welt zusammenhielt. Einige, so hieß es, hatten sich als einfache Menschen vor ein Benjukabrett gesetzt und waren als Propheten vom Spiel aufgestanden.
    Achamian gehörte nicht zu ihnen.
    Er dachte über die Stellung nach und rieb sich dabei die Hände warm.
    Xinemus machte sich mit einem gemeinen Lachen über ihn lustig: »Du wirkst beim Benjuka immer furchtbar verdrossen.«
    »Es ist ja auch ein elendes Spiel.«
    »Das sagst du nur, weil du es zu ernst nimmst.«
    »Nein. Das sage ich, weil ich verliere.«
    Doch Xinemus hatte recht. Das Abenjukala – ein klassischer Text über das Benjuka aus ceneischer Zeit – begann mit dem Satz: »Während andere Spiele die Grenzen des Intellekts aufzeigen, vermisst Benjuka die Grenzen der Seele.« Die Komplexität des Spiels war so groß, dass niemand es je würde intellektuell beherrschen und seinen Partner auf logischem Wege zum Aufgeben würde zwingen können. Benjuka war – dem unbekannten Verfasser nach – wie die Liebe. Die konnte man auch nicht erzwingen. Je mehr einen danach verlangte, desto unerreichbarer wurde sie. Genauso bestrafte Benjuka ein vereinnahmendes Herz. Während andere Spiele emsige Gerissenheit erforderten, war bei Benjuka etwas gefragt, das darüber hinausging. Weisheit vielleicht.
    Mit einer gewissen Verärgerung zog Achamian die einzige steinerne unter all seinen Silberfiguren – den Ersatz für einen Spielstein, den (so behauptete Xinemus jedenfalls) einer seiner Sklaven gestohlen hatte. Ein weiteres Ärgernis. Obwohl die Figuren nur waren, wozu man sie benutzte, schien es Achamian, als ließe dieser einfache Stein sein allenfalls mittelprächtiges Spielen noch dürftiger werden und würde den ohnehin bescheidenen Zauber einer

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