Schattenfall
schien es Proyas – hatte sich etwas gegen ihn verschworen: wenn nicht Menschen, dann die Elemente, und wenn nicht die Elemente, dann Menschen. Sogar Alpträume hatte er gehabt, in denen das Heer des Heiligen Kriegs längst aufgebrochen war, während er selbst mit dem Kaiser nur einen Kelch Wein trinken durfte und dann nach Hause geschickt wurde.
Vielleicht hätte er damit rechnen sollen. Vielleicht war es mehr als ein haarsträubender Zufall, in Sumna – ausgerechnet in dem Moment, da er vor Maithanet kniete – unverhofft Achamian begegnet zu sein. Vielleicht war es ja ein Omen gewesen, eine Erinnerung daran, dass die Götter oft über das lachen, was die Menschen mit den Zähnen knirschen lässt.
In diesem Moment erfasste eine gewaltige Welle das Boot, tauchte den Bug ins Wasser, hob das Heck und überschüttete die Insassen mit schäumender, in der Sonne in allen Farben strahlender Gischt. Rasant glitt der Kiel seitwärts die Rückseite des Wellenkamms hinunter. Ein paar Ruderer schrien. Einen Augenblick schien es, als würden alle untergehen. Ein Ruder war verloren. Dann lief das Boot auf Grund und schrammte über Sand. Sie stellten fest, dass sie auf einer der vielen Sandbänke gestrandet waren, die nur bei Ebbe aus dem Wasser ragten. Proyas sprang mit seinen Männern von Bord und half ihnen trotz Protest, das Boot bis auf den kalkweißen Strand zu ziehen. Ein Blick zurück zeigte ihm seine weit über das strahlende Meer verteilte Flotte. Es schien fast unglaublich: Sie hatten es geschafft; sie waren angekommen.
Während die anderen begannen, das Boot zu entladen, ging Proyas ein wenig weiter den Strand hinauf und fiel auf die Knie. Der Sand ließ seine Haut kribbeln, und der Wind fuhr ihm durchs kurze, pechschwarze Haar. Es roch nach Salz, Fisch und besonnten Steinen – recht ähnlich wie an Conriyas ferner Küste, dachte Proyas.
Er hat begonnen, gütiger Prophet … Der Heilige Krieg hat begonnen. Lass mich die Flammenschrift deines gerechten Zorns sein. Lass es meine Hand sein, die deine Heimat von der Verderbtheit befreit. Lass mich dein Schwert sein!
Im Schutz der ringsum donnernden Brecher konnte er gefahrlos weinen und blinzelte Tränen aus den Augen.
Am Rand seines Blickfelds sah er die Männer, die damit gerechnet hatten, er würde über die weißen Dünen zu ihnen kommen, räusperte sich, stand auf, als sie sich näherten, und strich sich geistesabwesend den Sand vom Gewand. Unter der flatternden Standarte von Attrempus fielen die Soldaten auf die Knie und neigten mit auf den Oberschenkeln einwärts gekehrten Händen vor ihm das Haupt. Hinter einer flachen Böschung zog sich eine große graue Schmutzwolke über den Himmel – Momemn mit seinen zahllosen Feuerstellen, wie Proyas vermutete.
»Ich habe Euch richtig vermisst, Xinemus«, begann Proyas. »Hättet Ihr das gedacht?«
Der kräftige, vollbärtige Mann an der Spitze stand auf. Nicht zum ersten Mal war Proyas über seine große Ähnlichkeit mit Achamian verblüfft.
»Ich fürchte, mein Herr und Prinz«, antwortete Xinemus, »dass Ihr diese wohlmeinende Einstellung bald verlieren werdet…« – er zögerte – »… wenn Ihr erst hört, welche Neuigkeiten ich für Euch habe.«
Schon geht’s los…
Vor Monaten – ehe Proyas noch nach Conriya zurückgekehrt war, um seine Armee aufzustellen – hatte Maithanet schon gewarnt, das Haus Ikurei werde dem Heiligen Krieg wahrscheinlich Kummer bereiten. Doch das Auftreten von Xinemus zeigte ihm, dass in seiner Abwesenheit etwas viel Dramatischeres passiert sein musste als bloße politische Winkelzüge durch den Kaiser von Nansur.
»Ich habe noch nie einen Boten für die schlechte Nachricht bestraft, die er überbracht hat, Xinemus. Das weißt du ja.« Er musterte einen Moment lang die Gesichter im Gefolge des Marschalls. »Wo steckt Calmemunis?«
Die Angst im Blick von Xinemus war kaum mehr zu übersehen. »Er ist tot, mein Prinz.«
»Tot?«, rief Proyas schrill. Lass es bitte nicht so losgehen, gütiger Sejenus! Er schürzte die Lippen und fragte in gelassenerem Ton: »Was ist passiert?«
»Calmemunis ist losmarschiert…«
»Losmarschiert? Aber dafür hat es ihm doch an Proviant gefehlt! Ich habe an den Kaiser persönlich geschrieben und ihn gebeten, Calmemunis alles zu verweigern, was er für den Marsch brauchen könnte.«
Bitte nicht so!
»Als der Kaiser ihm die Verpflegung vorenthielt, veranstalteten Calmemunis und die anderen einen Aufruhr und plünderten sogar Dörfer. Sie
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