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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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der winterlichen Dunkelheit war es im Zelt warm. Esmenet setzte sich auf und schlug die Arme um die Knie. Wer hätte gedacht, dass man vom Reiten einen solchen Muskelkater in den Beinen bekommen konnte?
    »Du denkst an jemand anderen«, sagte Sarcellus.
    Seine Stimme war so anders, dachte sie. So selbstsicher.
    »Ja«, gab sie zurück.
    »An den Ordensmann der Mandati, nehme ich an.«
    Sie erschrak, doch dann fiel ihr ein, dass sie von ihm erzählt hatte…
    »Na und?«
    Er lächelte, und sie fühlte sich dabei wie stets hingerissen und unwohl zugleich. Ob das vielleicht an seinen Zähnen lag? Oder an seinen Lippen?
    »Eben«, meinte er. »Mitglieder des Mandati-Ordens sind Narren. Das ist im Gebiet der Drei Meere jedem klar… Weißt du, was die Leute in Nilnamesh über Frauen sagen, die Narren lieben?«
    Sie wandte ihm den Kopf zu und musterte ihn mit gelangweiltem Blick. »Nein. Was sagen sie denn?«
    »Dass diese Frauen im Schlaf nicht träumen«, antwortete er und drückte sie sanft in sein Kissen.

11. KAPITEL
     
    MOMEMN
     
     
     
    Vernunft – schreibt Ajencis – sei die Fähigkeit, zur Erfüllung von Wünschen selbst beispiellose Hindernisse zu überwinden. Dieses Vermögen sei es, das den Menschen vom Tier unterscheide. Doch Ajencis hat etwas Beliebiges für wesentlich gehalten. Wichtiger als die Fähigkeit, gewaltige Hindernisse zu überwinden, ist das Vermögen, sich ihnen zu stellen. Nicht die Vernunft macht den Menschen aus, sondern das Gebet.
     
    Aus den Briefen des Ekyannus
     
     
     
    MOMEMN, VORFRÜHLING 4111
     
    Als seine Männer das Boot durch die Brecher ruderten, stolperte Prinz Nersei Proyas von Conriya, fing sich aber wieder. Er hatte beschlossen, die Küste Nansurs stehend zu erreichen, doch das Meneanor-Meer, das irgendwann beschlossen haben musste, so lange gegen den Strand zu rollen, bis alles Land untergegangen wäre, machte ihm das nicht leicht. Zweimal hätte ihn die mannshoch schäumende Brandung beinahe über Bord geworfen, und nun überlegte er, ob sein Vorsatz wirklich klug gewesen war. Er ließ den Blick über die Küste mit ihren vielen Sandbänken wandern, sah nur die Standarte von Attrempus in der Nähe der Wasserlinie aufgepflanzt und entschied, trocken und im Sitzen anzulangen sei weit besser als halb ertrunken von Bord zu wanken.
    Endlich erreiche ich das Heer des Heiligen Kriegs!
    Doch so sehr ihn dieser Gedanke bewegte, war er auch von einer gewissen Sorge begleitet. In Sumna war er der Erste gewesen, Maithanet das Knie zu küssen, hier aber – dessen war er sich gewiss – langte er als Letzter der in den Heiligen Krieg ziehenden Hohen Herren an.
    Politik, dachte er verdrossen. Anders als der Philosoph Ajencis geschrieben hatte, ging es dabei nicht darum, dass verschiedene Gruppen der Gesellschaft sich in einem rationalen und herrschaftsfreien Diskurs auf einen möglichst gerechten Ausgleich ihrer Interessen verständigten. Für Proyas war Politik eher eine absurde Versteigerung als angewandte Redekunst. Man verschacherte Grundsätze und Frömmigkeit, um zu erreichen, was Grundsätze und Frömmigkeit geboten. Man besudelte sich, um geläutert zu werden.
    Proyas hatte Maithanets Knie geküsst und sich dem verschrieben, was Glaube und Grundsätze von ihm verlangten. Gott selbst hatte dieses Vorgehen abgesegnet! Doch von Anfang an hatte es tief im Sumpf der Politik gesteckt: das endlose Gerangel mit seinem Vater, dem König; die überaus ärgerlichen Verzögerungen beim Sammeln der Flotte; die zahllosen Zugeständnisse, Verträge, Präventiv- und Vergeltungsschläge, Schmeicheleien und Drohungen. Es schien, als verkaufte man seine Seele, um sie zu retten.
    Hast du mich dadurch prüfen wollen? Und hast du mich nun für jemanden befunden, der dir wirklich dienen will?
    Selbst die Seereise war eine Plage gewesen. Das Meneanor-Meer war stets unbeständig und vor allem im Winter stürmisch. Die Flotte war in schwere See geraten und sehr weit nach Süden abgetrieben – bis über Ciron hinaus! Danach hatten ungünstige Winde den Schiffsverband gezwungen, gefährlich nah der heidnischen Küste zu segeln, bis sie bloß noch ein paar Tage von Shimeh entfernt waren – jedenfalls nach Aussage des Navigationsoffiziers, den die Ironie dieser Situation eher zu begeistern als zu ärgern schien. Als sie dann mühsam nach Norden kreuzten, erwischte sie der zweite Sturm, trieb die Schiffe in alle Richtungen auseinander und forderte über fünfhundert Tote. An jeder Biegung – so

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